Dr. Uwe Martin Lang aus Sölde beschäftigt sich schon lange mit Bienen. Besonders haben es ihm die wilden Honigbienen angetan. Lang ist Mitglied bei „Natur in Kultur, für Sölde“, deren Schwerpunkte Denkmalpflege, Natur- und Umweltschutz sowie Kunst und Kultur sind. 2020 haben sie das „Sölder Bienenprojekt“ ins Leben gerufen.
Wir sprachen mit Dr. Lang:
Sind wilde Honigbienen die Vorfahren unserer Honigbienen oder sind sie verwilderte Bienen, also der Imkerei entkommene Bienen?
Beides stimmt in gewissem Maße. Alle Haus- und Nutztiere haben Wildtiere als Vorfahren. Unterscheiden tun sie sich allerdings darin, ab wann sie etwa in die züchterische Obhut des Menschen gelangt und damit im Zusammenhang meist auch von ihren wilden Vorfahren zunehmend entfremdet wurden. Bienenhaltung wird vom Menschen wohl seit etwa 7.000 Jahren betrieben, wobei diese im Wesentlichen bis vor kurzem aus dem Einfangen und der Nutzung wild lebender Völker der lokalen Bienenart bzw. -unterart bestand (in einem Großteil der Welt wird Imkerei übrigens auch heute noch genau so betrieben). Damit lebten die meisten Bienenvölker über Jahrtausende wild in der Natur – in einer natürlichen Dichte von etwa einem Volk pro Quadratkilometer –, ein kleiner Teil lebte mehr oder weniger vorübergehend in menschlicher Obhut. Auf der aktuellen Wikipedia-Seite „Geschichte der Imkerei“ wird die Honigbiene als „noch Wildtier“, das der menschlichen Betreuung eigentlich nicht bedarf, beschrieben, auch wenn die allermeisten Imker dem heutzutage nicht mehr zustimmen würden.
In den letzten 200 Jahren hat sich dieses natürliche Verhältnis zwischen wild lebenden und Imkervölkern grundsätzlich geändert. Das führte dann letztlich dazu, dass Anfang des 20. Jh. in Deutschland über 2 Millionen Imkervölker gemeldet waren und die wild lebende Honigbiene als ausgestorben eingestuft wurde. Erst in den letzten 5 Jahren gestartete Monitoringprojekte habe zeigen können, dass die wild lebenden Völker nach wie vor existent sind, allerdings tatsächlich akut bedroht sind und von ihrem Aussehen her längst nicht mehr der heimischen Unterart der Dunklen Biene, sondern dem Durchschnitt der von den Imkern bevorzugten und über Jahrhunderte massiv importierten Unterarten und Hybridrassen entsprechen. Heute stehen in Deutschland ungefähr 1.000.000 Imkervölker etwa 50.000 wild lebenden Völkern gegenüber, womit klar ist, dass der größte Teil des Honigbienen-Genpools in menschlicher Hand ist – was von einigen Bienenforschern als sehr kritisch beurteilt wird.
Da die Imker- und die wild lebende Population – zum Leidwesen vieler Imker – in ständigem Paarungsaustausch miteinander stehen, viele Imkerschwärme ausbüchsen und Schwärme wild lebender Völker von Imkern gefangen werden, kommt es langfristig zu einer immer weiteren genetischen Überfremdung bzw. Globalisierung der wild lebenden Völker. Ein mehr oder weniger großer Anteil der wild lebenden Völker stammt sicherlich von ausgebüchsten Imkerschwärmen, andererseits ein Teil der von Imkern gefangenen Schwärme von wild lebenden Völkern.
Wodurch unterscheiden sich die beiden Honigbienen-Populationen?
Wild lebende Völker leben in den allermeisten Fällen in nicht vom Menschen dafür zur Verfügung gestellten Nisthöhlen, werden meist nicht vom Menschen betreut oder behandelt, in unseren Breitengraden auch meist nicht ihres Honigs beraubt.
Wild lebende Völker sind teils Wildtiere, bzw. auf dem Weg, dies wieder zu werden und sind damit der natürlichen Selektion, Naturkreisläufen und Nahrungsketten unterworfen. Sie sind durchschnittlich kleiner als Imkervölker, sammeln weniger Honig, schwärmen häufiger und sind wesentlich seltener.
Imkerbienen werden hauptsächlich als Nutztiere aufgefasst, die zwecks ihrer für den Menschen interessanten Produkte gehalten werden – dafür werden sie vom Menschen vor vielen Härten der Natur geschützt.
Wild lebende Völker sind auf das ausreichende Angebot an geeigneten natürlichen Nisthöhlen und Blüten, Imkerbienen dagegen stark auf den Menschen angewiesen. Sie leben in den meisten Fällen isoliert und in relativ großen Abständen von teils mehreren Kilometern von ihren wilden Nachbarvölkern, während Imkervölker oft in größeren Imkerständen von bis zu 100 Völkern zusammen gehalten werden.
Gibt es im Stadtbezirk Aplerbeck wilde Honigbienen?
Ja, im Stadtbezirk Aplerbeck sind mir derzeit bereits 5 Standorte wild lebender Honigbienen bekannt, die im Jahre 2020 alle mit Bienen besetzt waren: eine Spechthöhle in einer Buche des Aplerbecker Waldes (Lichtendorf), eine Zwischendecke eines etwa 100 Jahre alten Privathauses und eine Zwischenwand an einem unverputzten Backsteingiebel eines Mehrfamilienhauses in Aplerbeck, eine Linden-Fäulnishöhle und eine zugemauerte Fensternische in Schüren – hier gab es bereits eine Neubesiedlung. Drei bis vier von insgesamt fünf Bienenvölkern sind über den Winter eingegangen, das Volk in dem Mehrfamilienhaus hat allerdings schon den dritten Winter hintereinander überstanden. Es ist jedoch anzunehmen, dass noch weitere Standorte im Stadtbezirk vorhanden, allerdings noch nicht bekannt oder gemeldet sind. Daher bitte ich die Leser um Meldung weiterer Standorte, da diese einerseits möglichst geschützt, andererseits besser erforscht werden sollen.
Woran erkennt man ein Nest der wild lebenden Honigbienen?
Ein Nest wild lebender Honigbienen erkennt man am einfachsten an dem auffälligen, auf einen zentralen Punkt gerichteten, ein- und ausgehenden Flugbetrieb der Bienen an einem Baumstamm oder Mauer/Wand. Der Flugbetrieb am Flugloch ist besonders stark beim Ein- oder Auszug eines Schwarmes, oder zu Tageszeiten, wo der normale Sammelflugbetrieb mit dem Orientierungsflug der Jungbienen zusammenfällt (an warmen Tagen zwischen 14–16 Uhr oder nach plötzlicher Aufhellung des Wetters nach längeren Schlechtwetterphasen). Weitere weniger beachtete Zeichen sind ein jahresübergreifend kontinuierliches Bienensummen an wärmeren Tagen und eine hohe Zahl von tot am Boden liegenden Honigbienen unterhalb eines möglichen Flugloches.
Allgemein wird darüber diskutiert, ob die Honigbiene ohne den Menschen nicht mehr überleben kann. Wie können wilde Bienen ohne Eingreifen des Menschen überleben? Gibt es dazu wissenschaftliche Studien oder Erkenntnisse?
Im Laufe der letzten 100 Jahre ist es durch das bessere Verständnis des lange unverstandenen Paarungsverhaltens der Honigbiene, durch die Entwicklung verschiedenster Techniken der künstlichen Befruchtung, der Belegstellen-Reinzucht, durch die Überbetonung gesundheits- und fertilitätsschädigender Nutztier-Zuchtkriterien (z. B. Sanftmut, Schwarmträgheit, übermäßige Honigsammelleistung usw.) und durch die Durchseuchung mit verschiedensten massiv aggressiven Krankheitserregern zu einer immer stärkeren Abhängigkeit vom Menschen gekommen. All diese Faktoren haben unter den Imkervölkern bei den derzeit üblichen Haltebedingungen – ohne vorbeugende Behandlungsmaßnahmen insbesondere des Varroamilbenbefalls – zu jährlichen Verlustraten von bis zu 100 % geführt. Bei adäquater Führung und Behandlung der Völker sind diese Verluste auf etwa jährliche 5 % zu reduzieren, so dass sowohl unter Imkern als auch unter Bienenforschern die Meinung weit verbreitet ist, dass Honigbienen bei uns ohne menschliche Unterstützung und Behandlung nicht mehr überleben können.
Die in den letzten Jahren im Rahmen mehrerer Monitoringprojekte beobachteten hunderte Standorte wild lebender Honigbienen, und die Erfahrung behandlungsfreier Imker in der ganzen Welt haben jedoch ergeben, dass Honigbienen unter bisher noch nicht genau verstandenen Bedingungen sehr wohl ohne menschliche Unterstützung und Behandlung überleben können. Es wird angenommen, dass es eine Mischung aus Bienen-, Nisthöhlen-/Flugloch- und Umweltfaktoren gibt, die das längerfristige Überleben ermöglicht. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Rätsel in den nächsten Jahren mit Hilfe der wild lebenden Völker zumindest teilweise gelöst werden kann und die neuen Erkenntnisse in der Imkerei zu wesentlichen Fortschritten führen werden.
Da unsere „Hausbienen“ vom Aussterben bedroht sind – was bedeuten wilde Honigbienen für den Menschen und die Natur in Zukunft?
Wild lebende Honigbienen sind durch ihre Unabhängigkeit vom Menschen die einzigen Garanten für ein Überleben bzw. Wiederansiedlung der Art der Westlichen Honigbiene und ein flächendeckendes Honigbienen-Bestäubungsangebot in freier Natur.
Wild lebende Honigbienen sind ein wichtiger Genpool auch für die züchterisch immer stärker veränderten Imkerbienen und von unschätzbarem Wert für die Bienenforschung und die Wissenschaft allgemein, da sie alleine eine unverfälschte Forschung an Honigbienen im natürlichen Umfeld ermöglichen. Durch die unendliche Vielfalt in der Natur kann ihr Überleben in verschiedensten Nisthöhlen, unterschiedlichsten Blütenangeboten und Umweltbedingungen getestet und untersucht werden.
Außerdem sind sie ein wichtiger Bioindikator zur Beurteilung der Umweltqualität nicht nur für Insekten, sondern auch für uns Menschen. Durch ihren Kulturfolgercharakter sind aus der durchschnittlichen Lebensdauer der wild lebenden Völker an den verschiedensten Standorten Rückschlüsse auf die Umwelt möglich. Bei Imkervölkern ist dies aufgrund der Verfälschung durch die menschliche Fürsorge – wie z. B. Fütterung und Behandlung – weniger gut erkennbar.
Wünschenswert wäre daher nicht nur für den Stadtbezirk Aplerbeck, sondern für ganz Dortmund die Gründung eines finanziell geförderten Monitoringprojekts (es wird ein Sponsor gesucht) für Standorte wild lebender Honigbienen zwecks Erforschung und Unterschutzstellung dieser Nisthöhlen, letztlich aber auch zur Förderung der Bienenforschung und der Imkerei im Stadtgebiet.
Kontakt:
Dr. Uwe Martin Lang
oder 0231/40 96 18