Das Leben – so lernt man früher oder später – ist kompliziert. Kein Wunschkonzert eben! Hinter jeder Ecke lauert ein „Aber“, hinter jeder zweiten Kurve eine Auflage, die es einzuhalten gilt.
Merdan Suna verteilt in Dorstfeld Kleidungsstücke an Obdachlose sowie, gelegentlich, auch an Jugendliche. Um die Not zu lindern bzw. ein gutes Beispiel abzugeben – und das ist im Grunde schon fast die ganze Geschichte. Im Auftrag einer Hilfsorganisation unterwegs? Fehlanzeige! Auf Promo-Tour für ein Unternehmen? Schon gar nicht! Und auf ein ausgefeiltes theoretisches Konzept kann der 19-Jährige erst recht verzichten.
Was den Ur-Dorstfelder antreibt, ist nach seinen Worten stattdessen sein Glaube und die Unterstützung der Familie. Sowie die feste Überzeugung, „dass dir auch Gutes passiert, wenn du Gutes tust.“ Was allerdings bei ihm nach eigenen Worten nicht immer der Fall war. Bis sich bei Merdan Suna schließlich die Erkenntnis durchsetzte, seine Familie nicht enttäuschen zu wollen. Zumal es das Leben mit ihm selbst in den letzten Jahren recht gut meinte: Die eigene Musik-Karriere als Rapper „Prymowest“ hat Fahrt aufgenommen, sein „Brot-Job“ ist der eines „Content Moderators“ bei einem großen sozialen Netzwerk. Und sogar als Model verdient sich Merdan seit Kurzem erste Meriten. Mit eigenen Existenznöten muss sich der 19-Jährige demzufolge also nicht herumschlagen. Im Gegenteil bleibt bei ihm genügend hängen, um – wie er unumwunden zugibt – regelmäßig in das eigene Outfit zu investieren. Und weil Merdan Suna nun mal mit Leib und Seele ein Kind seines Viertels ist, fühlt er die dringende Verpflichtung, unmittelbar vor Ort etwas von den eigenen Annehmlichkeiten weiterzugeben. „Mein Grundsatz ist“, erläutert er, „für jedes neu gekaufte Kleidungsstück entsprechend etwas zu verschenken. Man sollte nicht mehr als fünf Paar Schuhe haben, wenn man weiß, dass jemand da draußen keine hat.“
Und so darf sich mal ein Wohnungsloser auf dem Wilhelmplatz über eine neue Jacke, ein anderer über ziemlich gut erhaltene Sneaker freuen. Schon mal spendiert Merdan zudem ein paar Bier, aber auch dies keineswegs aus Gedankenlosigkeit: „Ich will einfach nicht, dass die Leute Scheiße bauen, um an Bier zu kommen“, gibt er Einblick in seine Überlegungen. „Da erscheint mir das die bessere Alternative.“
Unter „Prymo“ kennen seine Leute den Wohltäter vom Wilhelmplatz mindestens so gut wie unter seinem Vornamen. Und seit einiger Zeit – aus offensichtlichem Grunde – außerdem noch unter dem Ehrentitel „Dorstfelds Robin Hood“. Als der hat er es kürzlich sogar zu öffentlichen Ehren gebracht und aus den Händen von Damals-noch-Bezirksbürgermeister Friedrich Fuß den Heinrich-Schmitz-Preis des Stadtbezirks entgegennehmen dürfen: Als einziger der Preisträger für ein rein privates Engagement. Noch während der Feierlichkeiten gab es erste Angebote, den engagierten Dorstfelder zusätzlich finanziell zu unterstützen. Allerspätestens seitdem hat Merdans Initiative richtig an Fahrt aufgenommen. „Alle wollen was von dir“, sagt er, ohne jedoch dabei im Mindesten unzufrieden zu klingen. Schließlich sei der Stadtteil ohnehin sein Universum: „Ich mag’s, wenn man sich untereinander kennt. Wenn der Döner-Mann mir zuruft ‚Na, wie geht’s?‘ umreißt er seine Sichtweise. Sämtliche seiner Freunde kämen aus der direkten Umgebung, „Lütgendortmund“, lacht der 19-Jährige, „ist schon ein anderer Planet.“
Kaum noch überraschend, dass „Robin 2.0“ auch die nachbarschaftlichen Strukturen versucht, in seinem Sinne zu nutzen. Nicht ungewöhnlich inzwischen, dass etwa der Kiosk-Mann den Hilfsbedürftigen vor dem Laden Kaffee oder ein Brötchen in die Hand drückt, und der Friseur von gegenüber hat sogar bei Bedarf schon mal einen Gratis-Haarschnitt spendiert. Das alles klingt fast nach einer verklärten Vorabend-Serie im Fernsehen und geschieht offenbar doch ganz real im oft genug kritisch beäugten Dorstfeld.