In Dortmund leben rund 15.000 Menschen von regelmäßigen Einkäufen bei der Tafel. Knapp 4.000 aktivierte Ausweise für je einen Haushalt gibt es momentan. Hinzu kommen jedoch noch einmal rund 1.000 Ausweise, mit denen aktuell noch niemand einkaufen kann, denn der Platz bei der Tafel ist begrenzt. Deshalb soll nun der Standort in Scharnhorst vier neue Verkaufsstellen bekommen – wenn sich denn die notwenigen 60 bis 70 Personen finden, die sich ausbilden lassen, um die Menschen dort mit Lebensmitteln zu versorgen. Dieser Wunsch ist es, den Dr. Horst Röhr als Vorsitzender der Tafel anlässlich der Wiederaufnahme der Führungen durch die Hauptstelle an die Dortmunder:innen richtet.
Die „win-win-Situation für alle Beteiligten“
Der Tag beginnt früh an der Osterlandwehr in der Nordstadt. Ab sechs Uhr „fahren unsere Autos raus“, erzählt Dr. Röhr. 13 Fahrzeuge sind es insgesamt, die die Lebensmittelgeschäfte anfahren, neun davon mit Kühlung, die Obst, Gemüse und Milchprodukte frisch hält. Noch im Jahr 2014 musste kein Transporter die Stadtgrenze überqueren, um mit 80 bis 100 Tonnen Lebensmitteln den wöchentlichen Bedarf der Dortmunder Tafel zu decken, wie Dr. Röhr erläutert. „Was sich dramatisch verändert hat, ist Folgendes“: Kaum noch ein Lebensmittelhandel verfolgt die Philosophie, dass die Regale auch kurz vor Ladenschluss noch voll sein müssen. Auch werden Produkte vom Vortag beziehungsweise kurz vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum für den halben Preis verkauft. Da fällt für die Tafel deutlich weniger ab, nur noch 48 Prozent ihres Wochenbedarfs kann die Tafel in Dortmund abdecken.
Ein Glücksfall aus Sicht der Tafel stellte da die russische Reaktion auf die europäischen Wirtschaftssanktionen im Jahr 2016 dar: „Putin hat gesagt, wir nehmen nichts mehr von Oetker“ und „Oetker hatte die Lager voll“, so Dr. Röhr. Das war der Beginn einer dauerhaften Beziehung zwischen der Dortmunder Tafel und dem Bielefelder Pudding-Magnaten. Inzwischen sind es 44 Großproduzenten, die beispielsweise falsch beschriftete Chargen zur Weitergabe an die Menschen in Dortmund zur Verfügung stellen. So entsteht eine „win-win-Situation für alle Beteiligten“, erzählt Dr. Röhr, denn die Kosten für Entsorgung der Lebensmittel übertrifft die Lieferkosten an die Tafel um Längen.
„Bei einigen Familien sind fünf Euro im Monat eine richtige Summe“
Auch diejenigen, bei denen sich ihr Engagement nicht unmittelbar in den Bilanzen niederschlägt, sind bereit zu helfen. So verfügt die Tafel auf dem Wickeder Gelände von Atlas Sicherheitsschuhe über ein Lager mit Tiefkühlcontainern, die die Firma Bloedorn Container zur Verfügung gestellt hat. Auch im Lager an der Osterlandwehr befinden sich kleinere Kühlräume, die eine „Planung über einen Tag hinaus ermöglichen“.
Denn geplant wird hier alles im Detail, damit die letzte Person, die zum Einkauf kommt, die gleiche Menge der gleichen Produkte mit nach Hause nimmt wie die erste, hochgerechnet auf die Anzahl der im jeweiligen Haushalt lebenden Personen, die auf dem Tafel-Ausweis vermerkt ist. Für bis zu elf Menschen kaufen die Kund:innen hier aktuell ein – für einen Euro pro Einkauf. Der ist aber keineswegs symbolisch, so Dr. Röhr: „Bei einigen Familien sind fünf Euro im Monat eine richtige Summe.“ Die kann die Tafel den Familien jedoch nicht erlassen, da natürlich alles gegenfinanziert werden muss.
Doch vor dem Hintergrund hoher Spendenaufkommen in den vergangenen beiden Jahren konnte die Tafel den Preis von drei Euro nun um zwei Drittel senken und „es sieht gut aus“, dass dafür auch im Jahr 2023 ausreichend Geld vorhanden sein wird. Abschließend kalkulierbar ist das jetzt noch nicht, da ebenso wie die Spenden auch die Summe die eingehenden Bußgelder unbekannt ist. Durchschnittlich rund 25.000 Euro gehen auf richterliche Anordnung bei Ordnungswidrigkeiten und Straftaten jährlich bei der Tafel ein. Im vergangenen Jahr waren es etwa 10.000 Euro.
„Lebensplanungsgespräche“ und das Potenzial der Mitarbeitenden
Umgekehrt gibt die Tafel den straffällig gewordenen Menschen eine Chance, auch nachdem sie ihre 100, 500 oder auch mal 1.000 Sozialstunden abgearbeitet haben. Mit „Lebensplanungsgesprächen“ macht die Tafel deutlich, „dass wir uns Gedanken über diesen Menschen machen und über seine Familie“. Das betrifft übrigens auch die Langzeitarbeitslosen, die für fünf Jahre vom Bund gefördert als Mitarbeitende bei der Tafel unterkommen und anschließend bei der Arbeitsplatzsuche unterstützt werden, „weil wir feststellen, dass sie unheimlich viel Potenzial haben, aber das Potenzial nicht nutzen“. Den Großteil des Personals stellen jedoch auf das gesamte Stadtgebiet verteilt „über 300 Ehrenamtliche“. Diese sorgen für die Logistik, die Lebensmittelausgabe und die Prüfung der eingegangenen Waren, denn wer bei der Tafel einkaufen muss, soll würdevoll, das heißt genießbare Lebensmittel, einkaufen können.
„Vom Einsäen bis zur Ernte“: Die Kinderprojekte der Tafel
Während die Eltern einkaufen, steht ihren Kindern ein kleines buntes Gebäude vor den Toren des Geländes zur Verfügung, wo die Kleinen an verschiedenen Projekten teilnehmen können, wie auch im speziell an Familien gerichteten „Panoramahaus“ an der Haydnstraße, wo Veranstaltungen stattfinden und werdende Eltern beim FamilienInfo-Café beraten werden. Im Fokus der Kinderprojekte steht stets das gesunde Essen. So arbeiten die Mitarbeiterinnen der Tafel auch mit verschiedenen Kitas zusammen, um mit Kindern, ihren Eltern und Erzieher:innen Kochkurse zu veranstalten. Vor einiger Zeit ist in diesem Zusammenhang ein mehrsprachiges Kochbuch entstanden. Auch die Hochbeete im Tafel-eigenen Garten wurden von Kindern bepflanzt, „sodass vom Einsäen bis zur Ernte von den Kindern alles erlebt wird“, wie Dr. Röhr formuliert.
Überhaupt ist dieses kleine Stück Grün, voller bunter Blumen, Obst und Gemüse, von einer Gärtnerin gepflegt, „eine sehr wichtige Oase“. Hierher kommen auch die Mitarbeitenden, wenn sie eine Pause brauchen von der körperlichen Arbeit und dem Trubel in der Ausgabestelle.