An der Strobelallee hat es in diesem Jahr ja dann bekanntlich doch noch geklappt mit der Königsklasse. Auf Champions League-Niveau allerdings wird in Dortmund nicht nur auf dem grünen Rasen agiert. In kaum drei Kilometern Luftlinien-Entfernung zum Signal-Iduna-Park, an der Otto-Hahn-Straße 11, liefert auch das in Uni-Nähe gelegene Max-Planck-Institut (MPI) für molekulare Physiologie seit vielen Jahren titelwürdige Ergebnisse ab. Nur sind die eben naturgemäß ein bisschen schwieriger zu kommunizieren.
Grundsätzlich gehören die Max-Planck-Institute deutschlandweit zu den renommiertesten wissenschaftlichen Einrichtungen. In Dortmund – daran lässt General Manager Dr. Peter Herter keinen Zweifel – spiele man in jedem der insgesamt vier Forschungsbereiche in der Weltspitze mit. Was die Direktoren der vier wissenschaftlichen Abteilungen „Mechanistische Zellbiologie“ (Prof. Dr. Andrea Musacchio), „Systemische Zellbiologie“ (Prof. Dr. Philippe Bastiaens), „Strukturbiochemie“ (Prof. Dr. Stefan Raunser) sowie „Chemische Biologie“ (Prof. Dr. Herbert Waldmann) dabei mit Spielgestaltern gemeinsam haben, sind ihre großen kreativen Freiräume ebenso wie eine hohe Eigenverantwortlichkeit. Heißt: Über die konkrete Spieltaktik – bzw. die Forschungsgegenstände – wird in Dortmund, basierend auf der hohen Fachkompetenz, selbst vor Ort entschieden. Was aber hat die Öffentlichkeit von einer derart ambitionierten Grundlagenforschung?
Letztlich jede Menge, unterstreicht Pressereferent Dr. Johann Jarzombek nachdrücklich – und nennt seinerseits als erstes ein Beispiel aus dem Sport: Nirgendwo anders als in Dortmund sei es erst vor Kurzem gelungen, die Struktur der kleinsten kontraktilen Einheit in Muskeln – dem sog. „Sarkomer“ – aufzuklären. Erst jetzt, nachdem in Dortmund das komplexe Zusammenspiel der beteiligten Moleküle mit modernsten Methoden der Elektronenmikroskopie beschrieben wurde, könne man viele Muskelfehlfunktionen bzw. den Prozess der Muskelalterung wirklich verstehen lernen – und vielleicht auch, welches die Ursachen für besonders leistungsfähige Muskeln wie etwa die eines Usain Bolt seien.
Noch ein weiterer spektakulärer Erfolg aus dem Bereich Strukturbiochemie kommt dem Pressereferenten in den Sinn: Unter Leitung von Abteilungsdirektor Prof. Dr. Stefan Raunser konnte an der Otto-Hahn-Straße entschlüsselt werden, wie bestimmte Bakterien ihre giftige Ladung in menschliche Zellen einschleusen. In Dortmund geht man nun nicht nur diesem Mechanismus auf den Grund, sondern versucht zugleich, sich diese Strategie der Natur zu Nutze zu machen, um stattdessen gezielt medizinische Wirkstoffe z.B. in Krebszellen zu transportieren: Ein wissenschaftlicher Ansatz, der so derzeit weltweit nur in Dortmund verfolgt wird.
Voraussetzung für derlei spektakuläre Ergebnisse ist, wie Dr. Herter betont, nicht zuletzt das „Team hinter dem Team“, bestehend aus Verwaltung, IT, Facility-Management und einigem mehr vielen anderen Service-Einrichtungen: „Menschen, die dafür sorgen, dass die Wissenschaftler den Rücken frei haben.“ Hinzu kommt selbstverständlich Equipment, bei dem man sich als Laie bisweilen nur rätselnd am Kopf kratzen kann: Etwa Elektronenmikroskope, mit denen sich Auflösungen auf nahezu atomarer Ebene abbilden lassen. Modernste Lichtmikroskope ermöglichen gar „Live-Übertragungen“ von intrazellulären Prozessen in Zellen, die zu diesem Zweck zeitweise in Kältestarre versetzt werden.
Schlussendlich muss noch ein weiterer wichtiger Aspekt gewährleistet sein, damit Grundlagenforschung ihrem Selbstverständnis gerecht werden kann: Öffentliche Förderung bei freier Wahl der Forschungsansätze. Denn nur so ist es möglich, sich als Wissenschaftler ggf. auch auf Risiken einzulassen, um auf diese Weise wirklich Neues zu entdecken.
Um die praktische Verwertbarkeit der eigenen Ergebnisse zu beschleunigen, kooperiert der Bereich Wirkstoffentwicklung (Chemische Biologie) unter der Leitung von Prof. Dr. Herbert Waldmann seit 2008 mit dem benachbarten Lead Discovery Center der MPG , das für den Brückenschlag zwischen Grundlagen- und Pharmaforschung zuständig ist. Hoffnung macht hier beispielsweise ein kürzlich entwickelter Wirkstoff, der Krebszellen auf Zuckerdiät setzt und sie auf diese Weise „aushungert“.
Und für all jene, deren Zweifel an der „Praxistauglichkeit“ unabhängiger Forschungsinstitute einfach nicht verschwinden wollen, hat Dr. Jarzombek noch ein Beispiel parat, wie es aktueller nicht sein könnte: Die Wirkweise von mRNA-Impfstoffen nämlich wäre ohne Grundlagenforschung einstweilen unentdeckt geblieben, gibt er zu bedenken: „Und hätte uns die Pandemie fünf Jahre früher erwischt, hätten wir auf Präparate wie die von Biontech oder Moderna wohl verzichten müssen“, ein überzeugendes Argument auch für die Spitzenforschung am MPI Dortmund. Ähnlich wie bei ihren schwarzgelben Champions-League-Kollegen in einigen Kilometern Entfernung wartet man darauf, die Öffentlichkeit auch einmal wieder zu sich einladen zu können – an der Otto-Hahn-Straße etwa durch einen Tag der offenen Tür oder die Teilnahme am Dortmunder Wissenschaftstag. Denn Champions League völlig ohne Zuschauer: Daran hat bekanntlich niemand Interesse!