1984 schoss Daniel Simmes ein legendäres Tor – und wurde später doch ein tragischer Held
Fragt man die berühmte Internet-Suchmaschine nach den längsten Solo-Läufen der Fußballgeschichte, findet man vor allem Ergebnisse, die Diego Maradonas Treffer vom WM-Viertelfinale 1986 an der Spitze des Rankings sehen. Borussenfans jenseits der 45 können darüber allerdings nur müde lächeln, wissen sie es doch besser: Der rechtmäßige Träger dieser Auszeichnung ist keineswegs ein 1,65 m großer Megastar aus Südamerika, er stammt stattdessen aus Oberdorstfeld.
Als der Ball im Oktober 1984 im Spiel gegen Bayer Leverkusen nämlich zum 1:0 im Netz gelandet war, rissen weite Teile des jubelnden Publikums vor Begeisterung die Augen auf, und den einen oder anderen Experten sah man wissend lächeln: Ein Tor wie dieses, das sah man definitiv nicht alle Tage! Und geschossen hatte es zu allem Überfluss ein 18-Jähriger Youngster, der auf seinem 70 Meter langen Sololauf an sieben Gegnern vorbei nachdrücklich unterstrichen hatte, dass der BVB mit Daniel Simmes in seinen Reihen endlich wieder über einen echten Rohdiamanten verfügte.
Mit Spannung fieberten BVB-Anhängerschaft und vermutlich auch der Spieler selbst der Dinge entgegen, die da in Zukunft womöglich noch kommen würden. Und doch kam es alles bekanntlich ganz anders. Dreieinhalb Jahre später transferierten ratlose BVB-Verantwortliche den Mittelstürmer an den Karlsruher SC, deutlich zu oft war der Dortmunder Junge auf dem Platz seiner Form hinterhergelaufen.
Folgen sollten noch Stationen bei den Regionalligisten Alemannia Aachen und Wuppertaler SV sowie das Karrierefinale in der zweiten belgischen Liga bei Lierse SK. Da sprach auf den Stadiontribünen schon seit langer Zeit niemand mehr von Daniel Simmes, der nach vorherrschender Einschätzung in die Liste der Super-Talente einzusortieren war, die eine hoffnungsvolle Karriere aufgrund fehlenden „Killer-Instinkts“ in den Sand gesetzt hatten. Daher bekamen sicherlich auch längst nicht mehr alle BVB-Fans 2003 den Epilog dieser Geschichte mit, als öffentlich wurde, dass beim ehemaligen schwarzgelben Hoffnungsträger ein angeborener Herzfehler diagnostiziert worden war, den er durch seine komplette Sportlerkarriere mitgeschleppt hatte: Der vermeintlich phlegmatische Kicker hatte also oft genug nur einen Bruchteil seines Potentials abrufen können, weil sein Körper nicht mehr zugelassen hatte.
Auch in der Traditionself des BVB oder im Umfeld des Vereins findet sich von Daniel Simmes nach Ende seiner aktiven Laufbahn nahezu keinerlei Spur – wodurch sich umso mehr die Frage stellte, was aus dem ehemaligen Mannschaftskollegen von Günter Kutowski, Michael Zorc und Norbert Dickel denn wohl geworden war.
Nach einiger Recherche bekam unsere Redaktion ihn schließlich Anfang des Jahres ans Telefon- immer noch in Belgien, wo er mittlerweile seit über zweieinhalb Jahrzehnten heimisch geworden ist. Was man ihm mittlerweile so deutlich anhört, dass man erst einmal annehmen konnte, sich verwählt zu haben: Der heimische Zungenschlag jedenfalls ist beim „Kind des Ruhrgebiets“ mittlerweile von einem soliden belgischen Akzent ersetzt worden.
Dem Fußball wiederum ist Daniel Simmes nach wie vor beruflich verbunden wie eh und je: Zunächst, nach Ende der Spielerkarriere lange Zeit als Trainer beim (schwarzgelben!) Club Lierse SK, in dessen Diensten er sowohl Jugendtrainer als auch Co-Trainer war und schließlich – 2015 sowie 2016 – gar das dortige Damenteam zweimal zum belgischen Pokalsieg coachte! Und seit dem vergangenen Sommer als Angestellter von Oud-Heverlee Leuven. Dort hat Simmes jetzt die U18 unter seinen Fittichen, die aktuell den Aufstieg in die erste Division anpeilt. Die alte Heimat Dorstfeld besucht er nach wie vor gelegentlich – „neulich hatte meine Mutter noch Geburtstag“ -, aber auf der Straße erkannt oder gar angesprochen wird der Ex-Kicker, wie er zugibt, heutzutage höchstens in Belgien noch hin und wieder. „Meistens kommen wir allerdings ohnehin im Dunkeln in Dortmund an, und fahren auch im Dunkeln wieder“, schiebt er hinterher.
Fragt man den Dorstfelder, wie er heute auf seine Karriere zurückblickt, ist die Enttäuschung über den Lauf der Dinge durchaus noch deutlich spürbar. Denn schon damals war ihm eigentlich klar gewesen: Wenn jemand, dem selbst von Franz Beckenbauer und Berti Vogts herausragendes Talent bescheinigt worden war, schließlich sogar beim Karlsruher SC keine Stammplatzgarantie mehr hatte, konnte das einfach nicht mit rechten Dingen zugehen! Die richtige medizinische Diagnose aber blieb Zeit seiner aktiven Karriere aus,das Gefühl extremer körperlicher Erschöpfung blieb ein ständiger Begleiter. So verfolgte Daniel Simmes die weitere Entwicklung ähnlich begabter Altersgenossen wie etwa Olaf Thon quasi nur noch von Ferne.
Der schließlich 2003 in Belgien diagnostizierte angeborene Herzfehler lieferte zwar endlich eine Erklärung für all die rätselhaften körperlichen Tiefs der aktiven Laufbahn, und eine anschließende OP beseitigte die meisten der Symptome. Für den Profi-Kicker Simmes indes kam diese Entwicklung zu spät. Irgendwann jedoch, resümiert er, habe er schon im Sinne der eigenen Familie Frieden mit seiner Geschichte machen und wieder nach vorne schauen müssen.
Was selbstverständlich nicht heißt, dass der heute 53-Jährige sich nicht gerne an manche schwarzgelbe Episode erinnern würde. Und ja, „der“ Tag seiner Fußballerkarriere ist dem Tor-des-Jahres-Schützen von 1984 noch immer ziemlich präsent. „Auch, weil mich die Leute nach wie vor gelegentlich darauf ansprechen“, erklärt Daniel Simmes. „Die fragen dann z.B. ‚Das bist doch nicht etwa du gewesen?‘, und dann sag ich gerne ‚Neenee, das war mein ältester Bruder‘“, schiebt er schmunzelnd hinterher.
Aber der schwarzgelbe Film von einst, der läuft dann eben prompt wieder vor dem geistigen Auge ab. „Wie ich den Ball reinschiebe, und der Papa von Michael Steinbrecher – damals Pressefotograf – hinter der Torauslinie aufspringt und mit der Kamera hinter mir herläuft.“ Das erzählt er und muss einige Sekunden lang überlegen, bis dem Wahl-Belgier im Zusammenhang mit Michael Steinbrecher das deutsche Wort „Lockenkopf“ wieder einfällt.
Und nicht nur sprachlich sind die Brücken ins Ruhrgebiet im Laufe der Jahre ein bisschen brüchig geworden. Kontakt zu ehemaligen BVB-Mannschaftskameraden, gibt Daniel Simmes zu, bestehe eigentlich nicht mehr. „Möglicherweise bin ich auch nicht der Typ, der einen telefonischen Kontakt über lange Zeit pflegt“, gesteht er. Bernd Storck allerdings, der BVB-Defensivmann vergangener Tage, trainiere ja aktuell seit rund drei Monaten Cercle Brügge. „Vielleicht sollte ich da demnächst einfach mal beim Training vorbeifahren. Der wird sich dann bestimmt denken ‚Was macht denn ausgerechnet der Simmes hier?‘“, sinniert der heutige Jugendcoach.
Die aktuellen Entwicklungen der schwarzgelben Borussia sowie des deutschen Fußballs allgemein verfolgt Daniel Simmes natürlich immer noch kontinuierlich, wie er zu Protokoll gibt. Und käme ein passender deutscher Club auf ihn zu, weil er Interesse an seinen Trainerdiensten hat, könnte der Besitzer des A-Scheins sogar durchaus schwach werden und aus Belgien zurückkehren. Wenngleich solch ein Angebot auch nicht mehr ganz lange auf sich warten lassen sollte. „Aktuell sind Power und Begeisterung in vollem Umfang da, aber irgendwann wird mir mein Gefühl selbstverständlich sagen, dass ich jüngeren Leuten Platz machen sollte.“
Für diese Ruhestandsphase plant Daniel Simmes, sich in der Nähe von Valencia niederzulassen. Da soll dann unter südlicher Sonne in erster Linie Entspannung Trumpf sein. Und vielleicht kommt ja hin und wieder ein Nachbar vorbei und sagt „Hör mal, ich bin da gerade im Internet auf ein Video gestoßen. Das bist doch nicht etwa du??“