Luxusuhren, Yachten und goldene Steaks: Ist das wirklich der zukünftige Alltag im Profifußball? Seiner war es jedenfalls nie, und bis heute fremdelt Michael Schulz massiv mit jeder Art von „High Society“. Von der schwarzgelben Anhängerschaft flogen ihm die Herzen für genau diese Individualität zu – letztendlich waren die Fans sogar bereit, ihm eine von Ausrastern und roten Karten gesäumte Anfangszeit im BVB-Dress zu verzeihen. In dieser hatte „der Lange“ seinen fußballerischen Ruf kurzzeitig so sehr ramponiert, dass ihn sogar der eigene nationale Verband, quasi vorsorglich, für die Borussen-Spiele im UEFA-Cup sperrte – ein „Alleinstellungsmerkmal“, auf das man eher nicht stolz sein kann.
Neues Feindbild
Und tatsächlich blickt der, dessen Nachnamen sie in Dortmund für gewöhnlich mit mindestens fünf „u“ schreiben, heute auf diese Phase seiner Karriere ausgesprochen selbstkritisch zurück, und erläutert: „Ich habe bei meinem ersten Profiverein Kaiserslautern nie wirklichen Druck gespürt, obwohl auch da doch schon die Hölle los war: Wenn ich auflief, war das einfach Adrenalin pur. Und dann kam Dortmund mit diesem Stadion, quasi der 1. FCK „hoch fünf“! Ich hatte sowieso immer einen hohen Anspruch an mich, und umso mehr, weil ich einiges an Ablösesumme gekostet hatte. Dummerweise hab‘ ich aber eine Sprunggelenksverletzung, die ich mitschleppte, im Vorfeld nicht richtig kommuniziert und mich eher über den Platz gequält.“ Diese Gemengelage bescherte dem damals bereits 27-Jährigen erstmals in seiner Laufbahn massive Selbstzweifel – mit den einschlägigen Folgen, von denen der nach einem Platzverweis weggepöhlte Wassereimer noch die unterhaltsamste war. Abgesehen vom besagten Eimer aber trat „Schuuuuulz“ in dieser Phase der dünnen Nerven, wie er zugibt, auf dem Platz im Grunde nach „allem, was sich bewegte“. Die Borussia war ratlos, der Rest der Fußball-Republik baute sich ein neues Feindbild auf, und der Kicker forderte schließlich unmissverständlich: „Lasst ihn nicht mehr auf den Platz!“
Der Wert von Eigenverantwortung
An diesem ultimativen Karriere-Tiefpunkt des Innenverteidigers half ihm, wie er gerne erzählt, der Zufall bei einer Weichenstellung, die damals wohl für einige in seinem Umfeld überraschend gekommen sein dürfte. Michael Schulz‘ ehemaliger Lehrgangsleiter bei der Polizei, mittlerweile Anti-Stress-Trainer, lief ihm über den Weg und vermittelte ihm den Wert von Eigenverantwortung. Mit anderen Worten: Suche die Schuld nicht bei anderen – wie etwa den Schiedsrichtern -, wenn du im Dreck steckst! Zudem bekam der „Lange“ im selben Zuge einen nach eigenen Worten „wunderbaren Buchtipp“: „Aktive Entspannung und Stressbewältigung“ von Angelika Wagner-Link sollte in den nächsten Jahren so etwas wie die Schulz-Bibel werden, deren Ratschläge er täglich praktizierte. Ein zentraler Bestandteil bestand in autogenem Training, und der Ex-Borusse erinnert sich schmunzelnd: „‘Meine linke Hand wird gaaanz schwer‘: Ich hab’s durchgezogen, auch auf dem Doppelzimmer vor Auswärtsspielen. So eine intensive Beschäftigung damit war nötig, um erstmal ‚Grund reinzubringen‘. Die Mannschaftskollegen haben da manchmal nur noch den Kopf geschüttelt, aber ich hatte bald einen Zustand erreicht, wo mir das egal war: Da hatte sich das Entspannungstraining also schon ausgezahlt!“
Cooles Image
Der ehrgeizige Kicker bekam sich in den Griff und steigerte nicht nur beim schwarzgelben Anhang sein Ansehen kontinuierlich. Oder um es mit des Spielers eigenen Worten zu sagen: „Binnen eines Jahres wandelte sich das ‚Arschloch der Liga‘ zum Nationalspieler!“ An der Strobelallee war Schulz damals bald schon Kult, spürten die Fans doch schnell, dass der „Lange“ eindeutig zu den Geerdeten der Branche gehörte. Was sich im Gespräch mit unserer Redaktion noch einmal bestätigt, wenn er z. B. von seinen Urlauben zu BVB-Zeiten erzählt, für die er für gewöhnlich mit 3-Mann-Zelt Richtung Campingplatz auf Korsika aufbrach. Und cooles Image hin oder her, die Liebe der Borussen-Anhänger wurde vom gebürtigen Niedersachsen auch immer erwidert: „Jetzt“, ruft er plötzlich aus, während er am Telefon von alten schwarzgelben Tagen berichtet, „jetzt gerade krieg‘ ich Gänsehaut, wenn ich davon erzähle! Könnte direkt ein Foto davon rüberschicken!“ Seine Definition dieser „wahren Liebe“ sendet er sogleich hinterher: Nicht nach jedem Tor das Wappen zu küssen, aber beim nächsten guten Angebot über alle Berge zu sein.
Bundesliga-Zirkus
Sich selbst im Fußball zu einem „Typen“ zu entwickeln, dürfte Michael Schulz – wie ihm sehr bewusst ist – aufgrund des späten Profi-Karrierestarts leichter gefallen sein, denn immerhin debütierte der hauptberufliche Polizeibeamte erst mit Mitte 20 im Bundesliga-Zirkus. Mit dem aktuellen Erscheinungsbild der Branche hat er dann auch so seine Probleme: „Wenn du in einem Leistungszentrum mal zu weit nach links oder rechts ausscherst, bist du halt weg. So wirst du über viele Jahre in deiner Entwicklung glattgeschliffen, und dann sollst du plötzlich mit 18 auf den Platz gehen und eine Persönlichkeit sein: Schlechterdings kaum möglich!“ Gleichzeitig gibt der Borussen-Veteran zu, eine „normale Dorfmannschafts-Karriere“ könne heutzutage wohl einfach kein Bundesliga-Sprungbrett mehr sein, da die Anforderungen sowohl körperlich als auch spielerisch zu weit auseinanderklafften. Ob es für Vereine und ihren Nachwuchs in dieser Hinsicht überhaupt einen „goldenen Mittelweg“ gibt? Da ist Schulz, wie er zugibt, ratlos: „Nach wie vor gibt es natürlich auch Spieler, die mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben. Aber die Zahl derer, die nicht mehr auf dieser Welt leben, ist einfach in extremem Maße gestiegen.“
Branche Spielerberater
Berechtigterweise darf man hier die Frage stellen, woher der Mann das denn wissen kann. Kann er aber! Vor neun Jahren nämlich ging „Schuuuuuulz“ in einer Branche vor Anker, vor der ihm früher nach eigener Auskunft graute: Der der Spielerberater. Sein Kollege Stefan Backs überzeugte den „Langen“ seinerzeit, man könne diese Aufgabe durchaus auch seriös angehen. Seither kümmert sich Michael Schulz um aufstrebende und etablierte aktive Kicker, unterstreicht dabei aber: „Wir sind lediglich eine Mini-Agentur! Hätten wir 140 Spieler bei uns, wären wir also ein ‚Konzern‘, würde es nicht mehr funktionieren.“ Zu seiner persönlichen Berufsauffassung gehört u. a. auch, der eigenen Klientel die Wahrheit zu sagen: „Wenn ich glaube, jemand hat ‘ne gewisse Chance, sich durchzusetzen, dann sag‘ ich das auch so“. Schwierigkeit sei dabei nur: „Wenn du den Eltern und den Jungs selbst nicht sofort vermittelst ‚Du bist der geilste Spieler der Welt‘, dann wird’s oft problematisch – die sehen sich im Geiste schon alle mit Champagner-Gläsern anstoßen.“ Auch dies gelte selbstverständlich nicht in jedem Falle, aber viel zu oft und mit steigender Tendenz: Der etwas andere Bundesligaprofi Michael Schulz hadert merklich mit seiner Branche.
WM in Katar …
Um bei den heikleren Themen zu bleiben, muss eine weitere Frage unbedingt noch angehängt werden: Wie hält’s der Ex-Borusse eigentlich mit der WM in Katar? Und tatsächlich kann „Schuuuulz“ auch hier die aktuellen Entwicklungen nur kopfschüttelnd kommentieren: „In ein Land zu gehen, in dem im Sommer 50° C sind, um die ganze Veranstaltung anschließend in den Winter zu ziehen – dazu die unglaublichen Arbeitsbedingungen auf den Baustellen: Vielleicht sehe ich mal zufällig ein Spiel, aber freuen kann ich mich nicht auf diese WM. Vom Weihnachtsmarkt werde ich dafür jedenfalls nicht verschwinden!“ Gar nicht so unwahrscheinlich scheint es ihm daher auch, dass sich die FIFA mit diesem Turnier insgesamt verzockt haben könnte. „Für die meisten ist die Vorweihnachtszeit ohnehin ein Megastress, mit dem sie so schon kaum klarkommen. Wenn ich da noch pro Tag fünf Stunden Fußball kucken soll, wie soll denn das gehen?“ Dass „sein Sport“ in Katar daher eher enttäuschende Quoten einfahren könnte, hält Schulz dann auch für alles andere als unwahrscheinlich.
In jedem Falle bleibt der „Lange“ ein Individualist der Fußball-Szene – allerdings einer, dessen Herz nach wie vor schwarzgelb schlägt. Für beides mögen ihn die Fans, dafür rufen sie bis heute seinen Namen, wenn sie ihn auf Dortmunds Straßen entdecken – und hin und wieder spielt er auch selbst gerne mit seinem Image: „Bringst du mir bitte etwas zu trinken?“, fragt er z. B. während unseres Telefonats seine Frau. „Whisky Cola?“ Dann aber muss er selbst lachen, und erklärt: „Neenee, war nur Spaß!“