Einen Satz dürfte man in Michael Bahrs‘ Wortschatz mit Sicherheit vergeblich suchen: „Da kann man halt nichts machen“ ist für den 48-Jährigen wohl noch nie eine Option gewesen. Viele Jahre lang war der Kriminalhauptkommissar als Mitglied der Bochumer „Soko Flankengott“ mit dem Themenbereich „Wettmanipulationen im Sport“ betraut und gewann auf diese Weise einen Insider-Blick auf die entsprechende Szene, wie dies nur wenigen Menschen hierzulande möglich ist.
„Stimmt, da war mal was“, dürfte sich der eine oder andere beim Stichwort „Spielmanipulation“ und der Erinnerung an den Robert Hoyzer-Fall denken. Genau darum allerdings geht es Michael Bahrs: Der Öffentlichkeit klarzumachen, dass da keineswegs etwas „war“, sondern unverändert etwas „ist“. Tendenz: Eher steigend. Und weil der anfangs erwähnte Satz für den Ur-Dortmunder nun einmal keine Alternative darstellt, wollte Bahrs nach dem Ende seiner Bochumer Ermittlungskommission sein erworbenes Wissen nicht einfach für sich behalten und seinen Herzenssport Fußball kampflos den Manipulatoren überlassen.
Vor diesem Hintergrund hat der Ermittler im August sein Buchdebüt „Verbrechen am Fußball“ auf den Markt gebracht, welches aufrütteln und Bewusstsein schaffen soll. Dass eine der zentralen Thesen dabei durchaus Sprengpotential hat, ist ihm sehr bewusst. Nach dem Eindruck von Michael Bahrs nämlich sind die nationalen und internationalen Fußballverbände aktuell gar nicht wirklich daran interessiert, das Problem in den Fokus zu nehmen, da sie Imageschäden fürchten. Muss man Idealist sein, um das zu beklagen? Aus Blauäugigkeit zumindest sei sein Buch nicht entstanden: „Verband und Gesellschaft können natürlich auch sagen: Der aktuelle Status reicht völlig aus. Dann aber muss man das entsprechende Ergebnis auch ertragen“, erläutert der frischgebackene Autor im Gespräch mit unserer Redaktion.
Für – im besten Falle – blauäugig hält er seinerseits hingegen die Sichtweise mancher Vereine, als Club immun gegen kriminelle Bestrebungen zu sein. Denn manipuliert würden in letzter Konsequenz schließlich immer Einzelspieler, und diese befreiten sich oft genug bis zu ihrem Karriereende nicht mehr aus den Fängen der Wettmafia: Auf diese Weise könne das Problem „Wettbetrug“ letztlich quasi in jeden Fußballverein importiert werden.
Erlebt hat der „Dortmunder Junge“ im Zuge seiner Karriere so einiges, wie auf den rund 180 Seiten immer wieder überdeutlich wird. Der Versuchung, sein Buch wie eine Abenteuergeschichte klingen zu lassen, widersteht Michael Bahrs zwar ganz bewusst, das eine oder andere spektakulärere Erlebnis allerdings wird trotz allem angerissen: So beispielweise die Geburtstagsfeier eines hochrangigen Kriminellen, während der auf einigen TV-Geräten gleich mehrere Fußballspiele parallel über den Äther flimmerten. Bald stellte sich heraus, dass es sich hier durchgehend um manipulierte Partien handelte, die man dem Geburtstagskind gewissermaßen als Geschenk „überreicht“ hatte.
Insgesamt jedoch geht es dem Bochumer Hauptkommissar erkennbar nicht darum, den Boulevard zu bedienen; stattdessen möchte er Lösungsmöglichkeiten aufzeigen, und wird dabei erfreulich konkret: Scharf kritisiert er etwa das Argument der Fußballverbände, für Ermittlungen im Bereich der Spielmanipulation seien sie doch ohnehin nicht zuständig. Eine Sportgerichtsbarkeit existiere aber durchaus, hält Bahrs dagegen, und die müsse sich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und Sanktionsmöglichkeiten des Problems annehmen. Auf Verbandsebene gelte es, effektivere Strukturen aufzubauen, das Netzwerk von Verbänden, Sportjuristen, Polizei und Staatsanwälten auf solidere Füße zu stellen.
Auch eine sportinterne Datenbank für „schwarze Schafe“ hält er durchaus für realisierbar – aktuell sei den Clubs in den allermeisten Fällen über kriminelle Verstrickungen ihrer neuen Angestellten nullkommanichts bekannt. Der Polizei wiederum stünde nach Michael Bahrs Sicht die dauerhafte Einrichtung einer Zentralstelle zur Bekämpfung von Sportmanipulationen gut zu Gesicht – von der nämlich kann derzeit trotz gigantischer im Raum stehender Summen auf diesem Schattenmarkt erstaunlicherweise keine Rede sein.
Alles in allem ist „Verbrechen am Fußball“ am ehesten eine Art Brandrede, ein sehr informatives Statement von einem, der sich ein Urteil erlauben darf. Bei allem Bestreben aber, dem Leser handfeste, nachvollziehbare Fakten an die Hand zu geben, schlägt beim in Dortmund-Kirchlinde aufgewachsenen Autor auch stets das Herz laut und vernehmlich für seinen Sport. Wie man überhaupt dem gelegentlich skizzierten Bild des „zynischen Bullen“ kaum unähnlicher sein kann als der 48-Jährige. Auch wer sich in Zeiten, in denen allgemeiner Werteverlust beklagt wird, nach einem Gegenbeispiel sehnt, kommt in Michael Bahrs‘ Buch jedenfalls auf seine Kosten. Er sei schlichtweg nicht bereit, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen, gibt er zu Protokoll. Man könne nicht den Retter für die (Fußball-)Welt spielen, hielten ihm Kritiker oft entgegen. „Warum eigentlich nicht?“ entgegnet ihnen der Hauptkommissar mit entwaffnender Prinzipientreue. Doch, um einen Idealisten handelt es sich bei Michael Bahrs ohne Frage. Allerdings um einen mit Fachwissen und einem konkreten Plan!