Die Kader-Zusammensetzung des Bundestrainers löste im Vorfeld der diesjährigen Europameisterschaft in Dortmund keine ungetrübte Euphorie aus. Vermutlich umso weniger, weil das von Jogi Löw gegenüber dem BVB gerne mal gelebte Prinzip „kalte Schulter“ vielen Fans noch sehr präsent ist. Am Ende allerdings, das muss fairerweise gesagt werden, gab die Gesamtbilanz Julian Nagelsmann recht – und auch die Borussenkicker in Schwarz und Weiß (bzw. Lila und Pink) konnten ein weitgehend positives persönliches Fazit ziehen.
Insgesamt sieben Schwarzgelbe waren bei der EURO 2024 für ihre Nationalteams nominiert, und bis auf BVB-Keeper Gregor Kobel kamen alle im Laufe des Turniers zu Einsatzminuten. Diese nutzten sie folgendermaßen:
– Nico Schlotterbeck
Für Borussias Innenverteidiger reichte es nicht ganz für die Stammformation. Andererseits schien „Schlotti“ noch wenige Wochen vor Turnierbeginn komplett weg vom Nagelmannschen Fenster; so gesehen ist seine persönliche Aufholjagd also zweifelsohne eine Erfolgsgeschichte. Erstmals aufgeboten im dritten Gruppenspiel gegen die Schweiz, ersetzte er den doppelt gelb-belasteten Jonathan Tah nahtlos und machte dem Bundestrainer seine Personal-Entscheidung für das Achtelfinale leicht. Dort glänzte der bekannt offensivstarke Schlotterbeck dann sogar prompt durch seine erste Torbeteiligung, und hatte vor heimischem Publikum sowohl in Defensive als auch Offensive sehr starke Aktionen, leistete sich aber auch gleich mal ein zum Glück folgenloses missglücktes Kamikaze-Dribbling im eigenen Strafraum. Aber welche Baustellen Schlotterbeck bei allen Qualitäten noch zu bearbeiten hat, ist ja auch ein offenes Geheimnis.
Gerade erst auf den Zug aufgesprungen, begann das Turnier für Emre Can mit Einwechslung und Torerfolg nach Maß.
– Emre Can
Plötzlich EM-Teilnehmer! Schaffte es schon Nico Schlotterbeck auf den letzten Drücker in den Kader, war der BVB-Käptn buchstäblich der Kicker, der – aufgrund der Verletzung von Aleksandar Pavlovic – auf den schon fahrenden Zug aufsprang. Und dann das: Zehnminütiger Einsatz im Auftaktmatch gegen die Schotten, einfach mal aus der Distanz abgezogen – drin!
Es folgten zwei weitere Kurzeinsätze, in denen Can sich nahtlos in Team sowie Taktik einfügte und tat, was von ihm erwartet wurde. Beim Startelfdebüt gegen Spanien dann blieb er allerdings zur Pause in der Kabine. Vorausgegangen waren 45 sehr disziplinierte, aber nicht immer effiziente Minuten des „Sechsers“.
Gegen die Dänen bewahrte ‘Lücke’ die Nationalelf vor einem herben Stimmungsdämpfer.
– Niclas Füllkrug
Dortmunds ehemaliger Stürmer ist zweifellos der Top-Joker der deutschen Nationalelf, insgesamt 13 Treffer in lediglich 21 Länderspielen bzw. 827 Einsatzminuten sprechen eine eindeutige Sprache. Auch bei der EURO schraubte der Spätberufene sein Torkonto weiter in die Höhe und erfüllte die Sehnsucht der Fans nach einem echten „Neuner“ im deutschen Dress. Und auch der Gruppensieg nach Maßflanke von David Raum ging aufs Konto des 31-Jährigen. Dass letztlich nicht jeder von „Lückes“ Turnier-Einsätzen eine Galavorstellung war, nahm kaum jemand übel – entscheiden doch im Sturmzentrum mitunter Nuancen darüber, wie gut man ins Spiel eingebunden ist.
Auch nur Zentimeter fehlten dem Stürmer im Achtelfinale zum echten Heldenstatus: Den Kopfball in der Verlängerung der Nachspielzeit hätte Füllkrug in der Bundesliga vermutlich in mindestens sieben von zehn Fällen versenkt. Aber schließlich ist nach dem Turnier vor dem Turnier – und von Karriereende kann bei „Lücke“ offenbar noch keine Rede sein, auch wenn sein schwarzgelbes Gastspiel leider nach nur zwölf Monaten bereits wieder endete.
Denker und Lenker des österreichischen Teams: Bei Marcel Sabitzer griff Lothar Matthäus zu Superlativen.
– Marcel Sabitzer
Über viele, viele Jahre hinweg brachte man unsere südlichen Nachbarn kaum einmal mit Spitzenfußball in Verbindung, und für die letzte rot-weiße Heldensaga war Hans Krankl zuständig. Seit allerdings Ralf Rangnick am österreichischen Ruder steht, traut man seinen Augen kaum. Bei der EURO bewies der 25. der FIFA-Rangliste, dass man es mittlerweile selbst mit den wirklich großen Namen locker aufnehmen kann. Mittendrin statt nur dabei: Borussias Marcel Sabitzer. Der Mittelfeldstratege spielte sämtliche vier Spiele durch, schoss ein Tor selbst und bereitete ein weiteres vor, als er im Strafraum nur per Foul zu stoppen war. Und damit nicht genug: Nach dem Match gegen die Holländer schnappte sich der Siegtorschütze die Auszeichnung zum „Player of the match“, aus einem entsprechenden Voting von „kicker Österreich“ ging der Schwarzgelbe als bester Turnier-Spieler seines Teams hervor. Zur Superlative gar griff TV-Co-Kommentator Lothar Matthäus, für den der Borusse schlicht der herausragende Spieler der EM war. Kann Sabitzer die aktuelle Form verstetigen, wird „die Süd“ in der nächsten Saison sicherlich einige Male seinen Namen skandieren.
– Salih Özcan
Überragend der eine, weitgehend unauffällig der andere – und trotzdem war es Salih Özcan, der nach dem Duell seiner Türken mit den Österreichern die Hände letztlich nach oben reißen durfte. In der Schlussphase gegen Ralf Rangnicks Truppe bewährte sich der Dortmunder durchaus als Stabilisator und wurde dafür mit einer Startelf-Nominierung im Achtelfinale belohnt.
An spektakulären Diagonalpässen, atemberaubenden Dribblings u. ä. ist der 25-Jährige, der sich vor allem über Zweikampfstärke und Einsatzwillen definiert, selbstverständlich weder beim BVB noch in seinem Nationalteam zu messen – und in der Tat blieb Salih Özcan, seine Kernkompetenzen betreffend, bei der EURO 2024 im Soll. Seine Passquote von gerade einmal 64% allerdings war womöglich nicht das, was sich Coach Vincenzo Montella von seinem Mittelfeldspieler ursprünglich erhofft hatte. Und so fällt Ozcans persönliche Turnierbilanz vielleicht nur ein bisschen besser aus als das Resümee seiner zurückliegenden Bundesliga-Saison.
– Donyell Malen
Durchspielen durfte Borussias Nr. 21 bei der Europameisterschaft kein einziges Mal, seine Torjäger-Visitenkarte aber hinterließ er dennoch: Gegen die Rumänen bewies der Niederländer bei seinem Doppelback sowohl Abstauber- als auch Solo-Qualitäten und stellte ein weiteres Mal seine enorme Grundschnelligkeit unter Beweis. Mit nunmehr acht Jokertoren im Oranje-Dress ist Malen, wie die „Abteilung Statistik“ zu berichten weiß, nur noch ganze zwei Treffer entfernt vom inoffiziellen Titel des „erfolgreichsten Einwechselspielers der Elftal-Geschichte“. Einen Stammplatz hat sich der BVB-Kicker unter Ronald Koeman aufgrund mindestens ebenbürtiger Konkurrenz offenbar trotzdem nicht erspielt. Aber immerhin bewiesen, dass er in guter Form jeder Mannschaft weiterhelfen kann.