Der Neue am Steuer von Borussias U23 scheint ein Typ für die Überholspur zu sein:
Binnen weniger als sechs Jahren sicherte sich Enrico Maaßen sämtliche Trainerlizenzen, und fuhr parallel dazu an seinen ersten beiden Stationen als Coach reichlich Erfolge ein. An der Seitenlinie des SV Rödinghausen, den er zum letzten Saisonende mit einem Schnitt von 2,16 Punkten / Spiel verließ, wurde schließlich auch die Schwarzgelben auf den 36-Jährigen aufmerksam.
Nach der eher mäßigen jüngsten Vergangenheit des Teams soll der gebürtige Wismarer, dem bereits der Ruf eines „Taktikfuchses“ vorauseilt, Dortmunds U23 wieder in die Erfolgsspur bringen. Und Überholspur hin oder her: Auf dem Weg dorthin setzt der neue Coach vor allem auf akribische Arbeit – und einen vertrauens- und respektvollen Umgang innerhalb des Teams, wie er unserer Redaktion im Zuge eines Interviewtermins Mitte September erläuterte.
REDAKTION: Sport- und Fitnesskaufmann, diplomierter Sporttherapeut, und alle Trainerlizenzen wurden innerhalb von fünfeinhalb Jahren erworben: Ist Dortmunds neuer U23-Trainer ein ausgesprochen ehrgeiziger Charakter?
ENRICO MAASSEN: Schon – aber Ehrgeiz und Leidenschaft sind im Fußball-Business geradezu die Grundvoraussetzung für Erfolg. Und für mich fühlt sich im Grunde nichts, was mit Fußball zu tun hat, wie „Arbeit“ an – dafür mache ich es einfach zu gerne.
REDAKTION: Und was für ein Typ Mensch steckt hinter dieser Leidenschaft?
ENRICO MAASSEN: Ich würde sagen, ein empathischer und sehr bedachter Mensch. Daher ist „Atmosphäre“ für mich auch immer wieder ein Thema: Mir ist wichtig, dass die Menschen um mich herum wissen, woran sie sind. Ein gutes Miteinander erzeugt man, indem man transparent und ehrlich ist.
REDAKTION: Auf ein intaktes Vertrauensverhältnis zur Mannschaft und zum Umfeld legen Sie also großen Wert?
ENRICO MAASSEN: Genau – weil es eben nie einer alleine ist, der für den Erfolg sorgt. Das klappt nur, wenn auch drumherum alles funktioniert, wenn das Klima zwischen Mannschaft und Trainerstab sowie innerhalb des Teams stimmt!
Zu Ehrlichkeit und Transparenz gehört dabei in meinem Beruf natürlich manchmal auch, einen Spieler mit harten Wahrheiten zu konfrontieren. Wenn es gelingt, solch eine Kultur des Umgangs im Team zu schaffen, ist das sehr zielführend.
REDAKTION: Wie hat man sich Enrico Maaßen denn eigentlich an der Seitenlinie vorzustellen? Sehr beherrscht, oder geht’s manchmal auch in Richtung „Vulkan“?
ENRICO MAASSEN: Ich bin schon eher der ruhige Typ, allerdings nichtsdestotrotz im Spielverlauf sehr aktiv. Wenn ich von der Seite etwas ‘reinrufe, versuche ich aber immer, den Spielern dabei auch inhaltlich etwas mitzugeben.
REDAKTION: Also nicht das – wie man früher gesagt hätte – klassische „HB-Männchen“?
ENRICO MAASSEN: Nein, das bin ich nicht.
REDAKTION: Die U23 des BVB hat die letzte Spielzeit mit einer eher durchwachsenen Bilanz abgeschlossen, letztlich sprang die schwächste Platzierung seit zwölf Jahren heraus. Welche Baustellen gilt es für Sie insbesondere zu bearbeiten?
ENRICO MAASSEN: Über die letzte Saison möchte ich gar nicht urteilen, das steht mir als damaliger Trainer einer anderen Mannschaft nicht wirklich zu. Was man sich natürlich immer fragt, wenn man ein neues Team übernimmt, ist: An welchen Stellschrauben solltest du drehen, wo gibt es Stärken, wo Schwächen? Da wir uns aber in allen Mannschaftsteilen quasi runderneuert haben, macht es nicht viel Sinn, zu sehr auf die vergangene Saison zu blicken. Ziel war es sicherlich, das neue Team um die verbliebenen Spieler herumzubauen und dabei zu schauen, wo es sich spielerisch ergänzt und auch menschlich passt. Und da wir sehr variabel spielen werden, ist der Grundgedanke, die Mannschaftspositionen von den Spielertypen her so unterschiedlich wie möglich zu besetzen.
REDAKTION: Womit wir bei Ihren sportlichen Leitsätzen wären. Wie sieht die Spielphilosophie von Enrico Maaßen aus?
ENRICO MAASSEN: Ganz einfach ausgedrückt lieben wir den Fußball ja alle, weil wir gerne viele Torchancen sehen: Genau das ist es, was wir wollen. Dazu bedarf es selbstverständlich einer sehr klaren Struktur in der Defensive und gegen den Ball, bei der jeder weiß, was zu tun ist. Dazu gesellt sich bei uns eine variable, prinzipienorientierte Herangehensweise im Spiel mit dem Ball – ohne jetzt zu viel preiszugeben [lacht]. Unsere Methode ist es also, weniger in starren Systemen und mehr in Prinzipien zu denken, die wir auf dem Feld umsetzen wollen.
REDAKTION: Welche Saisonziele gesellen sich zu diesen Prinzipien?
ENRICO MAASSEN: Unser Ziel ist es einfach, so viele Spiele wie möglich für uns zu entscheiden. Man darf nicht vergessen, dass wir einen Komplettumbruch im Trainerteam und in der Mannschaft hatten. Also wollen wir uns schlichtweg auf jedes einzelne Spiel optimal vorbereiten und beim Blick zurück eine stetige Entwicklung des Teams sehen. Mir persönlich liegt zudem am Herzen, dass wir uns unabhängig vom Spielstand stets erkennbar als Mannschaft präsentieren.
REDAKTION: Wo in der Liste der Prioritäten sortiert sich denn das Ziel ein, mal wieder einen Spieler aus Borussias U23 im Bundesligakader unterbringen zu können?
ENRICO MAASSEN: Das eine geht mit dem anderen einher. Wenn wir als gesamtes Team einen erfolgreichen Fußball spielen, wächst auch das Interesse an jedem einzelnen unserer Akteure. Und unser Training ist so angelegt, dass wir sowohl die individuelle Entwicklung fördern – Stärken ausbauen, Schwächen korrigieren – als auch die gerade angesprochenen Prinzipien trainieren: Da schaffen wir als Trainerteam einen Rahmen, in dem die Spieler ihre Kreativität ausleben.
REDAKTION: Wie wichtig ist bei der individuellen Förderung, dass man die ja überwiegend sehr jungen Spieler auch menschlich führt – sie also einerseits motiviert, aber auch „auf dem Teppich“ behält?
ENRICO MAASSEN: Für uns als Trainerteam ist es immer wichtig, Werte vorzuleben – und einzufordern, dass die Spieler diese Werte auch untereinander beherzigen. Jeder Einzelne bringt neben seiner individuellen fußballerischen Qualität auch einen menschlichen Mehrwert für die Gruppe ein. Wir versuchen den Jungs mitzugeben, dass sie die von uns getroffene Entscheidung akzeptieren und dem Mitspieler den Platz im Team zu gönnen. Und wenn man selbst nur fünf Minuten mitmischen darf, soll man eben alles in diese fünf Minuten legen, um seiner Mannschaft zu helfen. Das aber ist eine Kultur, die wachsen muss und die im heutigen Fußballgeschäft nicht üblich ist.
REDAKTION: Wie eng ist denn eigentlich bei all diesen Aspekten die Zusammenarbeit mit der Lizenzspielerabteilung?
ENRICO MAASSEN: Sehr eng! Es gibt einen intensiven Austausch mit Otto [Addo – die Red.], Edin Terzic und auch Sebastian Kehl. Wir sind also auch immer rechtzeitig informiert darüber, wer demnächst vielleicht mal „oben“ dabei sein wird oder wer aus dem Bundesligateam zu uns stößt.
REDAKTION: Haben Sie denn – trotz Corona – auch schon einen Draht zur schwarzgelben Fanbase aufbauen und sich ein Bild von der Stadt machen können?
ENRICO MAASSEN: Ich habe ja in der Vergangenheit schon einige Spiele als Zuschauer im „großen Stadion“ miterleben dürfen, und in meiner Zeit als Trainer des SV Rödinghausen waren immer eine Menge schwarzgelber Fans mit von der Partie. Auf diesem Weg habe ich bereits einen gewissen Eindruck von der Fanbase des Vereins gewonnen. Ich bin jedenfalls sehr froh und stolz, hier sein zu dürfen!
REDAKTION: Spielte bei Ihrem Wechsel auch die Aussicht eine Rolle, es bei einem Verein wie dem BVB mit einer Menge sehr hochbegabter Kicker zu tun zu bekommen und sich darüber auch als Trainer weiterentwickeln zu können?
ENRICO MAASSEN: Du stellst dir ja, wenn du etwas Neues machen möchtest, die Frage, was dir womöglich noch fehlt im Rahmen deiner Arbeit. Und da ist das enorme Know-how, das du hier von außen bekommst, sicherlich eine spannende Erfahrung. Außerdem habe ich vorher noch nicht in dieser Breite mit jungen Spielern gearbeitet, die alle das große Ziel verfolgen, sich als Profi zu etablieren. Daran wächst man sicherlich auch selbst, und darauf hatte und habe ich einfach große Lust.
REDAKTION: Geraten Sie beim Blick auf Ihre Vorgänger und deren weitere Karrieren – auch wenn David Wagner bei einem sehr speziellen Club gelandet ist – eigentlich ins Träumen?
ENRICO MAASSEN: Es ist aus einem Grunde nicht möglich, daran nicht zu denken: Weil ich immer wieder genau darauf angesprochen werde [lacht]. Ansonsten spielt dieser Aspekt aber keine Rolle für mich. Ich glaube, wenn man auf diese Weise denken würde, würde es in der Gesamtheit auch nicht funktionieren – und ich möchte meinen Job hier so machen, dass alle davon profitieren.
REDAKTION: Die Frage „wo sieht sich Enrico Maaßen in fünf Jahren?“ muss ich aber trotz alledem noch antesten.
ENRICO MAASSEN: Der Fußball ist aber tatsächlich zu wenig planbar, als dass ich das sagen könnte. Es ist wirklich wahr: Ich will und werde von Spiel zu Spiel denken und möchte dafür sorgen, dass wir Woche für Woche Top-Performances abliefern. Man sollte zwar immer eine Vision und Träume haben, denn das ist es schließlich, was dich im Leben antreibt. Aber dieses sehr langfristige Denken funktioniert m. E. im Fußball nicht – wichtiger sind da Teil- und Etappenziele. In deren Erreichen will ich beim BVB meine ganze Kraft stecken.
REDAKTION: Vielen Dank, Enrico Maaßen, für diesen ausführlichen Blick auf Ihre Pläne und Ziele!