Jahre hat Lukas Degler während des Baus der neuen Hauptorgel im Orgelraum der Reinoldikirche verbracht, manchmal gar dort sein Nachtlager aufgeschlagen. Wenn es abends spät wurde, genehmigte sich der Intonateur ein Glas von seinem geliebten Bordeaux. Und so kam es, dass zur 3-Jahres-Feier für die große Mühleisen-Orgel am gestrigen Donnerstag auch ein Korkenzieher zur Verfügung stand, um gemeinsam auf den Geburtstag des Instruments anzustoßen. Man musste ihn lediglich von der Orgel holen, wo er noch immer hing.
Über 20.000 Stunden Arbeit
“Der Intonateur gibt jeder einzelnen Pfeife den Ton, den man haben will”, erklärte Lukas Degler anlässlich des Jubiläumskonzert im Podiumsgespräch mit Kantor Christian Drengk. Wie viel Arbeit im Fall der Mühleisen-Orgel in St. Reinoldi damit verbunden war, verrät das Programmheft des Abends. Mit insgesamt 4.781 Pfeifen mit Längen von 14 mm bis 5,75 m sind Haupt- und Chororgel ausgestattet, wobei über die Hälfte der Pfeifen in der Hauptorgel aus der alten Walcker-Orgel stammen.
Allein Orgelbau Mühleisen brachte es auf rund 18.000 Arbeitsstunden an der Hauptorgel und 2.500 Stunden an der Chororgel. Die Zeiten für den Bau der Metallpfeifen, des Stahlgehäuses und der Klaviaturen bei den Zuliefer-Firmen sind dabei noch nicht mitgerechnet.
“Klanglich ist kein Stein auf dem anderen geblieben”
Während seiner Zeit in St. Reinoldi hat Degler sich verändert. “Es war ein unheimlicher Reifeprozess”, erzählt der 27-Jährige, “Das Ohr wurden jeden Tag auf’s Neue geschult.” Nachdem ein Geselle im Orgelbau sich die Frage beantwortet habe: “Wie kriege ich eine Pfeife überhaupt zum Klingen?”, folge in der Regel die Attitüde, “Perfektion anzustreben”. Diese aber stelle nicht das Ziel dar, mit der er letztendlich eine Orgel intoniere.
Vielmehr ginge es darum, “Seele und Leben reinzugeben”. So habe er auch in St. Reinoldi “bewusst imperfekt” gearbeitet, um einen langweiligen Klang zu vermeiden. Dabei berücksichtige er auch stets das Echo im Raum, das im Fall der Reinoldikirche speziell ausfalle, weil der offenporige Sandstein des Kirchenbaus viel Schall schlucke. “Klanglich ist kein Stein auf dem anderen geblieben”, so der Intonateur.
“Hyper-Orgel-Technologie”
Auch technisch stellt die Mühleisen-Orgel eine Neuerung dar. So verfügen Haupt- und Chororgel zusätzlich zum mechanischen Spieltisch auf dem Balkon über ein elektronisches Pendant vor dem Altarraum. Musikwissenschaftler Dr. Jan Boecker sprach anlässlich des Jubiläums in diesem Zusammenhang von einer “Hyper-Orgel-Technologie”. Gerade barocke Stücke spielt Kantor Christian Drengk jedoch bevorzugt mechanisch: “Da habe ich die Orgel viel mehr in der Hand.” Das allerdings darf nicht zu wörtlich verstanden werden, wiegt die Orgel insgesamt doch ungefähr so viel wie 18 PKW und ist so groß wie ein kleines dreistöckiges Haus.
St. Reinoldi als Pilgerstätte für Musikschaffende
Im Fokus des Jubiläums stand vor allem die Qualität des gigantischen Instruments. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellte St. Reinoldi eine Art Pilgerstätte für Musikschaffende und Musikbegeisterte dar, wie Dr. Boecker berichtete. 1943 jedoch wurde die Orgel beim einem Luftangriff beschädigt und im Folgejahr vollständig zerstört. Aber auch die 1956 eingeweihte Walcker-Orgel änderte an der Bedeutung der Musik am Ostenhellweg laut dem Wissenschaftler nichts. Heute jedoch feiere man den Geburtstag eines “klingenden Kunstwerks”.
Wer mehr über die Mühleisen-Orgel erfahren möchte, erhält am 29. März um 12 Uhr die Gelegenheit. Im Rahmen einer Orgelführung erläutert Kantor Christian Drengk die Technik und Konzeption des zweiteiligen Instruments mit Klangbeispielen. Anmeldungen nimmt das Evangelische Bildungswerk unter entgegen.