“Mit so ‘ner geilen Adresse” kann wohl nicht jede Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche dienen. Ob sie Zufall ist, weiß Mirza Demirović nicht so genau. Vor zwei Jahren stellte das Jugendamt seinen Mitarbeiter frei, um eine hauptamtliche Projektkoordination für die Nordstadtliga zu ermöglichen, denn ehrenamtlich war sie nicht mehr zu stemmen. Nun hat das Straßenfußballprojekt nach 24 Jahren zum ersten Mal auch ein eigenes Büro – am Borsigplatz 09.
Wer hier vorbeikommt, trifft im Wechsel auf etliche Ehrenamtliche und Übungsleiter:innen, auf vier Werkstudent:innen und natürlich auf Demirovićs hauptamtliche Kollegin Henrike Deitert sowie ihn selbst. Und auf doppelt so viele offene Ohren. “Fußball ist der Aufhänger”, erklärt der Projektkoordinator, eigentlich aber gehe es darum, dass man “einen Ort schafft, wo die Kinder Anerkennung in ihrer Persönlichkeit erfahren”, wo ihnen bei Problemen jedweder Art geholfen wird oder wo sie sich schlicht eine Gemischte Tüte zusammenstellen können.
Aber auch für Gruppenarbeiten bietet das ehemalige Vivawest-Kundencenter genug Platz und das “Wohnzimmer” steht den Kindern und Jugendlichen als “Wohlfühl-Space” offen, so Demirović. Zustande kam die Anmietung durch die Zusammenarbeit der Nordstadtliga mit dem BVB, der einen Teil der Sponsorenleistungen an das Fußballprojekt weitergibt. So finanzierte Vivawest in der Vergangenheit beispielsweise zehn Kindern aus der Nordstadt eine Teilnahme am Ferienprogramm in der Fußballakademie, inklusive Trainingsausrüstung. Jährlich erhält die Nordstadtliga außerdem 7.500 Euro von der Vivawest Stiftung.
Ein noch größeres Pfund in den Projektfinanzen macht allerdings die Rolle der Nordstadtliga als Leuchtturmprojekt der BVB-Stiftung “leuchte auf” aus. 20.000 Euro fließen jedes Jahr aus dem Stiftungstopf an das Fußballprojekt. Hinzu kommen anteilig Einnahmen aus dem Weihnachtssingen im Signal-Iduna-Park.
Neben einzelnen Spendenzusagen, wie zum Beispiel in der dritten Januarwoche von der Bäckerei Büsch, wird die Nordstadtliga ansonsten weitestgehend durch das Jugendamt finanziert und durch die AWO Streetwork geleitet, die auch Henrike Deitert eingesetzt hat. Seinerseits erklärt Mirza Demirović: “Ich bin ausgeliehen an das Fan Projekt Dortmund”, das mit den anderen Projektbeteiligten kooperiert.
Eine Zentrale für Kinder und Jugendliche aus der Nordstadt
Bei der Renovierung des Ladenlokals am Borsigplatz gab es jenseits der zählbaren Beträge erneut Unterstützung von der Strobelalle, insbesondere, was das “Branding” der Wände betrifft, wie Demirović erklärt: “Dankenswerterweise hat der BVB uns ein bisschen unter die Arme gegriffen.” Die Einrichtung der Räumlichkeiten wiederum übernahm ein Unternehmen mit Filiale um die Ecke: “POCO hat das alles hier ausgestattet, inklusive Töpfe und Tassen.”
Auf diese Weise haben alle zusammengelegt und mit angepackt, um über das Nordstadtliga Stadion hinaus eine Zentrale zu schaffen, an der die 400 bis 450 Kinder und Jugendlichen, die die Nordstadtliga jährlich erreicht, nicht nur Sport treiben, sondern sich beraten lassen, an der Konsole FIFA spielen “oder einfach mal chillen” können, so Demirović. Wer nach Schulschluss das Ladenlokal betritt, erhält bei Bedarf auch Informationen über die Angebote der Nordstadtliga.
Diese sind so vielfältig wie die Orte im Stadtteil, an denen sie stattfinden. So laufen zweimal jährlich über 12 Wochen Meisterschaftsspiele in vier Altersklassen, bei denen die Kinder einen Sportpokal erringen können. Doppelt so groß ist aber der “Respektpokal”, den die Mannschaft erhält, die für Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Selbstorganisation über die Zeit des Ligabetriebs hinweg die meisten “Respektpunkte” gesammelt hat.
Die Mannschaften, die hier gewinnen, erhalten ein Training mit den Trainer:innen des BVB in der Fußballakademie mit laut Demirović “kompletter Ausstattung”. In der Nordstadt abgeholt werden sie mit dem Mannschaftsbus des BVB, der sie im Anschluss an das Training auch wieder nach Hause bringt.
“Kinder zu Held:innen machen”
“Was wir hier machen”, betont der Projektkoordinator, besonders mit Blick auf die jungen Menschen, die sich tagtäglich mit den Vorurteilen der Nordstadt gegenüber konfrontiert sehen, “ist, mal was Schönes zu machen und die Kinder zu Held:innen zu machen”. So waren es Kinder und Jugendliche der Nordstadtliga, die in der letzten Saison und auch schon im Jahr 2022 die Auswärtstrikots von Borussia Dortmund präsentierten.
Besonders stolz sei er gewesen, erzählt der Sozialarbeiter, als eine junge Frau einmal sagte: “Hier muss man sich nicht schämen.” Und um diese Qualität weiter auszubauen, reagierten die Aktiven der Nordstadtliga, als einige Mädchen sich einen “Safe Space” wünschten, in dem sie unter sich bleiben würden. Seit August 2022 zeichnet Henrike Deitert nun für die Nordstadtliga-Queens verantwortlich, die sich dem Credo der Nordstadtliga entsprechend natürlich auch ihren Namen selbst gegeben haben.
“Bei den Queens”, so Deitert, “ist es uns auch besonders wichtig, dass wir Beziehungsarbeit leisten”. Hierfür stehen nun beheizbare Räume zur Verfügung – inklusive zweier Sofas, auf denen die Mädchen ebenso wie alle anderen Kinder und Jugendlichen, neben ihrem Sport auf dem Max-Michallek-Platz am Hinterausgang, Entspannung finden können.