„Ich bin auf den Job-Turbo aufgesprungen“, sagt Michael Vogler. Was der Orthopädie-Schuhtechniker meint, sind die Anstellungsverträge, die er in den letzten Jahren mit Viktoriia Chernova und Olena Mashkina geschlossen hat. Beide sind aus der Ukraine geflohen und trafen in Dortmund auf einen Arbeitsmarkt, der sie brauchte.
Über 5.000 Menschen kommen monatlich aus der Ukraine. Hinzu kommen Tausende Geflüchtete aus anderen Ländern auf der Suche nach Arbeit. „Dieses Potenzial müssen wir einfach heben“, ist Heike Bettermann als Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Dortmund überzeugt. Da das nicht nur sie so sieht, hat die Arbeitsagentur den „Job-Turbo“ gezündet, der eine intensivere und individuellere Beratung sowie mehr und berufsspezifische Sprachkurse vorsieht. Um zu zeigen, dass das Konzept funktioniert, aber auch Optimierungsansätze zu diskutieren, lud das Jobcenter zusammen mit Orthopädie-Schuhtechniker Vogler Ende Juni Vertreter:innen aus der Politik und weitere inzwischen im Beruf angekommene Geflüchtete nach Lanstrop in Voglers Räumlichkeiten ein.
Diskriminierung auf einem Arbeitnehmermarkt
Als Steuerfachangestellte kam Razan Rkbey aus Syrien, aber nachweisen konnte sie ihre Qualifikation nicht, weil die entsprechenden Dokumente aus dem Kriegsland nicht zu bekommen waren. Also wurde sie als kaufmännische Assistentin anerkannt. „Das war nicht mein Ziel, nicht mein Traum“, erzählt Rkbey. Also schrieb sie rund 150 Bewerbungen – erfolglos. Daraufhin riet ihr ein Bekannter, ihre Daten inklusive ihres Namens zu anonymisieren – und siehe da, nun arbeitet sie als Steuerfachangestellte.
Was ihr passiert ist, ist für Volkan Baran als Mitglied des Landtages für die SPD keine Neuigkeit: „Obwohl wir einen starken Arbeitnehmermarkt haben, ist dieser Arbeitsmarkt noch nicht ganz diskriminierungsfrei.“ Orthopädie-Schuhtechniker Vogler hat als Vetreter einer Branche mit immensem Arbeitskräftemangel für solche Vorgänge kein Verständnis. „Hürden zu groß gibt es für mich eigentlich nicht“, sagt er, „Für mich zählt eigentlich nur meine Arbeit und dass die Mitarbeiter, die ich habe, miteinander klarkommen.“ Außerdem hätten seine neuen Mitarbeiterinnen durchaus wesentliche Fähigkeiten für die Aufgaben der Schuh- und Lederwarenstepperinnen mitgebracht: „Nähen können die Damen.“ Dennoch „steht und fällt alles mit der Sprache“. Und hier kommt das Jobcenter ins Spiel, dessen hilfreiche Unterstützung die Frauen gleich mehrfach betonen.
Langwierige Anerkennung beruflicher Qualifikationen
Problematisch war nicht nur für Razan Rkbey die Anerkennung der vorhandenen Qualifikationen, die für Viktoriia Chernova lange Wartezeiten bedeuteten. Als Mitglied des Bundestages für die SPD nennt Jens Peick diesen Umstand einen „Hemmschuh bei der Arbeitsmarktintegration“ und sein Kollege von Bündnis90/Die Grünen Markus Kurth stimmt ihm zu: „Das mit der Anerkennung ist wirklich ein komplettes Ärgernis.“ Auch die Wartezeiten für die Sprachkurse seien viel zu lang und es müsse die Möglichkeit geschaffen werden, zu arbeiten und gleichzeitig Sprachkurse zu absolvieren.
Keine Kinderbetreuung während der Sprachkurse
Gerade für viele Frauen ist es derzeit unmöglich, überhaupt Sprachkurse zu besuchen, weil sie Mütter sind. Denn Sprachkurse laufen über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, während Kinderbetreuung Ländersache ist. Sich durch diesen Förderungs- und Auflagendschungel zu schlagen, scheuten die Träger aus gutem Grund, findet Nadja Lüders (SPD) als Mitglied des Landtages: „Das zusammenzukriegen ist echt eine Mammutaufgabe.“
Auch für die Frauen selbst stellt sich diese enorme Herausforderung, so auch für Razan Rkbey, die mit ihrer Tochter nach Deutschland gekommen ist. „Es war niemals einfach“, erinnert sie sich, „aber ich habe es geschafft, weil ich will.“ Rkbey ist eine Einzelkämpferin, doch nur wenige Menschen, die vor dem Krieg fliehen, haben die Kraft, sich allein durchzusetzen. Aber „wenn alle gemeinsam rudern, geht es in eine gemeinsame Richtung“, glaubt Orthopädie-Schuhtechniker Vogler. Es gilt also offenbar zunächst, zu erkennen, dass in Sachen Arbeitsmarktintegration alle im selben Boot sitzen.