In der Statistik der schwarzgelben Rekordspieler muss man bis zu Position 144 blättern, um auf ihn zu stoßen, und seine Krankenakte ist vermutlich so schwer, wie es Telefonbücher früher einmal waren. Na und? Auf der Beliebtheitsskala nicht nur der BVB-Fans belegt Patrick Owomoyela trotz allem seit jeher einen Spitzenrang, sonst hätten sie ihn schließlich nicht besungen. Als Markenbotschafter ist der Double-Gewinner von 2012 also eine denkbar konsequente Besetzung. „Owo“ wird von den Menschen als einer von ihnen wahrgenommen – und nicht anders sieht er sich auch, wie er uns verriet.
An beruflichen Aufgaben mangelt es dem heute 40-Jährigen weiterhin nicht. Von ihnen erzählt er im Interview ebenso wie von den Aufs und Abs einer Fußballerkarriere – sowie von der richtigen inneren Einstellung, um mit derlei Widrigkeiten umzugehen.
REDAKTION: Für wie viele Selfies pro Tag muss Patrick Owomoyela heutzutage eigentlich noch posieren, wie viele Autogramme schreiben?
PATRICK OWOMOYELA: Im Alltag hält sich das einigermaßen in Grenzen – weil ich mittlerweile ein Weilchen hier bin, habe ich wahrscheinlich bereits mit jedem Dortmunder ein Foto gemacht! Früher, zu meiner aktiven Zeit, war die Nachfrage natürlich deutlich größer. Aber heute passiert mir das eher, wenn ich für den Verein auf Tour bin – wenn Leute mich entdecken und sich denken „Da war doch mal was?!“
REDAKTION: Wie häufig sind Sie denn momentan für den BVB auf Achse, und wie genau hat man sich Ihren Job als BVB-Botschafter vorzustellen?
PATRICK OWOMOYELA: Das umfasst ganz unterschiedliche Aufgaben. Botschafter zu sein bedeutet natürlich in erster Linie, den Verein zu repräsentieren, und seine Geschichte zu den verschiedensten Anlässen weiterzugeben. Das meiste davon geschieht im Ausland, ich kümmere mich beispielsweise um die Marke BVB in den USA. Nicht um das operative Geschäft natürlich, sondern um die Medienarbeit in TV und Radio – quasi als das Gesicht der Aktionen und Kampagnen.
Ich bin zum einen zweisprachig aufgewachsen, zum anderen als Kind der MTV-Generation ein Fan der amerikanischen Kultur, und so hat mich der Verein mit diesem Aufgabengebiet betraut.
REDAKTION: Sie sind ein Nationalspieler, der sich – ziemlich ungewöhnlich! – tatsächlich überhaupt erst im Alter von 19 Jahren endgültig für den Fußball entschieden hat. Wie kam es eigentlich dazu?
PATRICK OWOMOYELA: Zum einen war ich einfach nie ein so großes Talent, als dass mein Weg bereits mit 14 Jahren abzusehen gewesen wäre und mich in ein Fußballinternat geführt hätte. Zum anderen hat meine Mutter mir kontinuierlich klar gemacht: Auf Schule und Ausbildung kommt’s an, um später etwas in der Hand zu haben. Und ich war von meiner Grundstruktur her immer eher der Praktiker, wollte immer „machen“. So bin ich, obwohl es auch für das Abitur gereicht hätte, nach der 10. Klasse mit dem Berufswunsch „Mechatroniker“ von der Schule abgegangen. Die Firmen, von denen ich dabei träumte – BMW, Mercedes oder Audi – nahmen allerdings, wie ich feststellen musste, fast nur noch Abiturienten an. Also habe ich mich, aus finanziell sehr einfachen Verhältnissen stammend, umgesehen, wo man ab dem ersten Lehrjahr schon gutes Geld verdienen kann und mich schließlich für eine Ausbildung als Gas- u. Wasserinstallateur entschieden.
Was den Sport angeht, galt meine große Leidenschaft damals zunächst dem Basketball – die amerikanische Kultur stand bei mir eben hoch im Kurs. Im Fußballverein war ich aufgrund der damaligen Stichtagsregelungen hingegen durchgehend der Kleinste, Schmalste und Langsamste meines Teams. Ich musste also lernen, meine Ellbogen einzusetzen, was für mich eine gute Schule war, saß aber trotzdem andauernd auf der Bank – das hat mir den Nerv geraubt! Geändert hat sich das erst mit 15 oder 16.
REDAKTION: Und da hat sich dann der Interessensschwerpunkt verlagert?
PATRICK OWOMOYELA: Nee, eigentlich immer noch nicht! Meine Träume gingen ungefähr in Richtung der 4. Liga, an Profifußball habe ich nie gedacht. Das ging wirklich erst in der A-Jugend los, als sich Zweitligisten für mich interessierten und ich realisierte: vielleicht könnte da tatsächlich mehr draus werden! Und erst, als ein Drittligist – der Lüneburger SK – mit einem konkreten Angebot bei meinem Club vorstellig wurde, habe ich wirklich an meine Möglichkeiten geglaubt.
REDAKTION: Sie sind also durchaus ein „Spätberufener“ und haben zudem bei keiner Ihrer späteren Profi-Stationen am Vereinsrekord für Pflichtspiel-Einsätze gekratzt, und trotzdem sind Sie überall nachdrücklich positiv im Gedächtnis geblieben. In Bielefeld und Dortmund wurden Sie von den Fans bekanntermaßen sogar besungen – keine alltägliche Ehre! Was hat Patrick Owomoyela in seiner DNA, das ihn zum Kultkicker macht?
PATRICK OWOMOYELA: Naja, „Kultkicker“ ist natürlich ein sehr großes Wort, zu dieser Gruppe würde ich mich nicht unbedingt zählen. Tatsache ist allerdings, dass ich immer einen guten Draht zu den Fans hatte. Ich weiß, wo ich herkomme und habe mich nie für einen besseren oder wichtigeren Menschen gehalten als es diejenigen sind, denen ich begegne. Und wenn du dich nicht zu wichtig und dir Zeit für die Leute nimmst, merken die Fans das und erkennen das an.
Zudem habe ich natürlich auch sportlich versucht dazu beizutragen, dass man mich mag. Was im Grunde – von meinen Verletzungsphasen abgesehen – immer gut geklappt hat.
REDAKTION: Apropos Verletzungsphasen: Sie hatten im Laufe Ihrer Karriere Zeiten, in denen Sie extrem durchgestartet sind, haben aber auch eine enorm dicke Krankenakte vorzuweisen. Wie schwer war es, mit diesem emotionalen Wechselbad umzugehen?
PATRICK OWOMOYELA: Eigentlich habe ich das nie wirklich als schwer angesehen. Ich bin mit dem Bewusstsein in meine Karriere gestartet, dass alles – auch dies eine Mahnung meiner Mutter – schnell wieder vorbei sein kann: Fußballprofi ist man nicht für immer, und es stellt keine Selbstverständlichkeit dar, dass man’s bleibt.
Zugegeben, am Anfang einer Verletzung musste ich auch ein paarmal erst durch eine Phase des Zweifelns, denn wenn es mich erwischt hatte, war ich für gewöhnlich nicht drei Wochen, sondern eher drei Monate lang verletzt.
Aber letztlich waren meine Verletzungen für mich dann immer wieder eine Herausforderung und eine Chance, mir Neues anzueignen. Sei es im privaten Bereich, indem ich z. B. die freie Zeit genutzt habe, um mir ein bisschen Klavierspielen beizubringen, oder auch in sportlicher Hinsicht: Da habe ich mich etwa im Reha-Training verstärkt damit befasst, meinen linken Fuß zu trainieren – und plötzlich konnte ich auch auf der linken Seite eingesetzt werden.
„Sei lösungsorientiert“: Dieses Prinzip gilt bei mir im Grunde in allen Lebenslagen, und ich versuche es auch an meinen Sohn weiterzugeben. Kinder neigen ja erst einmal zum Schmollen, wenn irgendetwas nicht geklappt hat bzw. kaputt gegangen ist. Dann frage ich ihn: „Was kannst du jetzt tun, damit es wieder besser wird bzw. wieder funktioniert?“
REDAKTION: Was war denn, im Rückspiegel, die Ursache Ihrer Verletzungsanfälligkeit? Tappte die medizinische Abteilung da auch ein wenig im Dunkeln, oder brachte Ihr Körper womöglich nicht die nötigen Voraussetzungen für weitere Jahre Leistungssport mit?
PATRICK OWOMOYELA: Zumindest zu meiner Bremer Zeit können es weder Dauerbelastung noch Verschleiß gewesen sein, denn da befand ich mich schließlich eigentlich noch am Beginn meiner Profikarriere, und trotzdem ging’s bekanntlich schon los mit meinen langwierigen Verletzungen. Medizinisch klar ist, dass ich vom Grundtypus immer zu den schwereren Spielern gehörte, gleichzeitig aber auch seit jeher hohe Schnellkräfte entwickeln konnte. Und das kollidiert anscheinend mit dem Aufbau meiner Sehnen: Wenn die nämlich unter den beschriebenen Bedingungen nicht außergewöhnlich stark sind, fliegen sie dem Spieler um die Ohren. Und tatsächlich sind alle Verletzungen, die mich länger aus dem Spiel genommen haben, Sehnenverletzungen gewesen: Hüftbeuger, Achillessehne usw.
Mit gezieltem Aufbautraining kann man den genannten Risiken zwar begegnen, aber irgendwann ist man auch damit am Limit.
Hinzu kam zugegebenermaßen noch, dass ich nie jemand war, der asketisch gelebt und sich nur von Körnern und Salat ernährt hätte. Vielleicht hätte ich also in dieser Hinsicht meinem Körper noch mehr helfen können, aber ich bereue das nicht – meine Auffassung war eben von jeher: Die ganze Angelegenheit muss auch Spaß machen, sonst kann ich mich ihr zumindest dauerhaft nicht widmen. Und hätte ich zu aktiven Zeiten durchgängig Kalorien gezählt, wäre ich wahrscheinlich irgendwann depressiv geworden und hätte die Brocken hingeworfen.
REDAKTION: Wie ist es denn heute um Ihre Fitnesswerte bestellt? Behalten Sie die noch im Blick?
PATRICK OWOMOYELA: Leider viel zu wenig! Ich bin eher nicht der Typ, der schon früh morgens Lust hat, um den See zu joggen. Wie gesagt: Es soll auch mal schmecken, und es muss auch mal gemütlich sein! Hinzu kommt natürlich – neben meinem aktuellen Hausbau – mein oft recht straffer Terminkalender, der mich regelmäßig in andere Städte und Länder führt: Auf Reisen habe ich selten den Kopf dafür, mir ein paar Stunden im Fitness-Studio zu organisieren. Wenn ich tatsächlich mal eine längere Zeit am Stück in Dortmund bin, sieht die Bilanz schon wieder besser aus, in der letzten Woche etwa habe ich täglich trainiert. Aber dabei gibt es momentan kein Ziel, das ich in den Blick nehmen könnte – außer das, ein paar von den Kilos wieder zu verlieren, die sich über die letzten Jahre angesammelt haben.
Einen Marathon zu laufen, könnte irgendwann mal interessant werden, aber aktuell steht dieser Gedanke auf meiner Wunschliste noch nicht allzu weit oben.
REDAKTION: Was stattdessen auf Ihrer Wunschliste häufiger mal ganz oben steht, ist „Angeln gehen“. Insgesamt gelten Sie ja als äußerst geselliger Typ, der gerne auf die Leute zugeht. Gibt es auch den anderen Patrick Owomoyela, der Ruhe und komplette Abgeschiedenheit braucht? Der es genießt, sich ein Weilchen komplett „auszuklinken“?
PATRICK OWOMOYELA: Den gibt’s auf jeden Fall – wobei ich beim Angeln allerdings durchaus beides haben kann. Manchmal ziehe ich mit einer Clique los, und dann ist es eben unterhaltsam, lustig und laut. Ich sitze aber auch gerne ganz alleine an einem Fluss, schalte das Handy aus und rede mit niemandem.
Mindestens einmal pro Jahr breche ich außerdem zu einer größeren Motorradtour auf: Nur ich und der Fahrtwind! Wenn ich dann unterwegs bin, sortiere ich meine Gedanken und baue Stress ab, weil ich auf niemanden außer mich Rücksicht nehmen muss. Nicht nur die Gedanken können sich frei in jede Richtung ausbreiten, ich kann mich auch spontan für den Weg entscheiden, den ich einschlagen will: So lade ich meinen Akku wieder auf.
REDAKTION: Zum Ende hin nochmal ein kleiner Themenschwenk zurück zu Ihrer aktiven Laufbahn: Sie haben während Ihrer Karriere mit vielen populären Trainerfiguren zusammengearbeitet – u. a. Jürgen Klinsmann, Joachim Löw, Thomas Schaaf und Jürgen Klopp. Wer hat Sie am stärksten geprägt und warum?
PATRICK OWOMOYELA: Am meisten geprägt hat mich ohne Frage Uwe Rapolder. Der hat mich zu meiner Bielefelder Zeit als offensiver Flügelspieler übernommen und zum Verteidiger umgeschult, weil er überzeugt war, dass dort meine Stärken besser zur Geltung kämen. Außerdem hatten wir einen sehr guten persönlichen Draht zueinander. Dabei habe ich, als der frühere Bielefelder Manager Thomas von Heesen uns damals von den Plänen des Clubs erzählte, gesagt „Ich hör auf!“. Von seiner Mannheimer Zeit kannte ich Uwe Rapolder nämlich als kompletten Choleriker an der Seitenlinie, der mit rotem Kopf rumschrie – und mir war, wie gesagt, auch der Spaß an meiner Arbeit immer wichtig. Das ist übrigens der gleiche Grund, warum ich später jeglichen Gesprächen mit Felix Magath einen Riegel vorgeschoben habe: Vielleicht hätte der mich fit gemacht, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich es auch nur zwei Jahre unter ihm ausgehalten hätte. Bei Uwe Rapolder hingegen hatte ich mich getäuscht, später war ich unglaublich froh, dass sich der Verein für ihn entschieden hatte.
Jürgen Klopp wiederum als mein letzter Trainer im Profigeschäft hat mich als Spieler – und natürlich auch uns als Team – taktisch und hinsichtlich der Spielidee noch einmal klar weiterentwickelt. Ihn habe ich mit 28 als erfahrener Profi kennengelernt, da ging es mittlerweile auch um andere Dinge: Wie kann ich mich außerhalb des Platzes am besten in eine Mannschaft einbringen, um jungen Spielern zu helfen? Insofern standen hier also menschliche Aspekte ebenso im Vordergrund wie sportliche.
REDAKTION: Man kann also durchaus sagen, dass Sie Ihre stärksten Prägungen als Fußballer von zwei Charakteren erhalten haben, die beide gerne mal die Linie entlang toben bzw. entlanggetobt sind?
PATRICK OWOMOYELA: Ja, von zwei HB-Männchen, wenn man so will! (lacht) Wobei der erste mehr auf Lautstärke setzte, und der zweite mehr auf Gestik und Körpersprache. Naja, auch Jürgen kann natürlich laut sein – wenn er möchte!
REDAKTION: Im Netz war vor einigen Jahren mal zu lesen, Sie könnten sich gut vorstellen, eines Tages privat nach Hamburg zurückzukehren. Ist das eigentlich noch aktuell?
PATRICK OWOMOYELA: Ich habe in Dortmund einen Riesen-Freundeskreis, und bin hier mittlerweile eigentlich viel mehr zu Hause als in Hamburg – dort müsste ich mich im Grunde erst wieder reinfinden. Außerdem kommt die Familie meiner Frau von hier, und in Hamburg habe ich nur noch meine Mutter, insofern ist der Ruhrgebiets-Anker derzeit wahrscheinlich der schwerere von beiden. Aber eines Tages – vielleicht, wenn die Kinder aus dem Haus sind – möchte ich schon zurückkehren. Vielleicht in eine schicke kleine Wohnung in Hafennähe: Sozusagen, damit der Kreis sich schließt.
REDAKTION: Um den Bogen zurück in die Gegenwart zu schlagen: Was sind für Sie die nächsten anstehenden Aufgaben für Schwarzgelb?
PATRICK OWOMOYELA: Im Moment bin ich eigentlich fast wöchentlich bei der Produktion englischsprachiger Image-Videos für den BVB im Einsatz, und auch einige Partnership-Events stehen derzeit an. Dann bin ich noch gelegentlich für Werbepartner wie Puma oder Warsteiner auf Achse, und ab und zu ruft zudem die DFL an, für die ich auf Englisch Spiele kommentiere. Es wird also nicht langweilig, ich habe eine bunte Tüte Verpflichtungen. Wobei die intensivste von allen momentan ohne Frage der Hausbau ist – da bemühe ich mich täglich darum, die größten Katastrophen abzuwenden (lacht).
Wir bedanken uns bei Patrick Owomoyela für das ausführliche Interview und streben dem Ausgang zu. Fast überflüssig zu erwähnen, dass auf dem Weg dorthin bereits das nächste Fan-Selfie fällig ist!