Eines schönen Tages vor einiger Zeit auf Bali: Herbert – dessen Nachnamen wir nicht kennen – beschließt, seinen Lieben daheim eine Urlaubskarte zu schreiben. In die Ferne scheint es ihn des häufigeren zu ziehen, berichtet er doch nach Hause, dass es ihn „diesmal in die Südsee verschlagen“ habe. Seine Adressaten, die Beckers, halten derweil 11.900 km entfernt im beschaulichen Kirchlinde die Stellung.
Nach schwarzgelben Meisterambitionen könnte Herbert sie kaum fragen, denn der letzte Borussen-Titel liegt schon zweieinhalb Jahrzehnte zurück. Von einem gewissen Jürgen Klopp haben die Beckers nur gehört, wenn ihnen zufällig der Kader von Viktoria Sindlingen geläufig sein sollte: Sehr unwahrscheinlich! Und von „großer Politik“ will man im Urlaub ja ohnehin nicht viel wissen, ansonsten hätte Herbert z. B. über die gerade gelaufene US-amerikanische Präsidentenwahl plaudern können, mit der zugleich das Ende einer Politikerlaufbahn besiegelt wurde. Und eine schillerndere, umstrittenere Figur als diesen Ronald Reagan dürfte es auf dem Chefsessel im Oval Office ja vermutlich so schnell nicht mehr geben?!
Nachdem Herbert seine Karte eingeworfen hat, passiert offenbar lange nichts. Sehr, sehr lange. Zumindest aus Sicht der Karte! Wobei sich deren Spur, um präzise zu sein, komplett verliert. Nichtsdestotrotz: Falls unsere Urlaubskarte in all dieser Zeit nie die Hoffnung aufgegeben haben sollte, ihre Bestimmung zu erfüllen, wird sie Recht behalten! Oder doch immerhin fast.
Denn als ein Dortmunder Postbote sie dann endlich hierzulande durch einen Briefschlitz segeln lässt, hat der BVB in der Zwischenzeit fünf nationale Meistertitel eingesammelt. Jürgen Klopp kennt nicht nur in Dortmund jedes Kind. Und wie es auf dem amerikanischen Chefsessel weiterging, bedarf keines Kommentars – kurz: Wir schreiben den August 2021.
Ihr neues Heim gefunden hat das Kärtchen im Postkasten von Gerold – nein, nicht Becker, sondern Reinicke. Und der wohnt zwar ebenfalls im Kirchlinder Hangeney, aber mitnichten – wie seinerzeit offenbar die Beckers – in der Mechthildstraße. Schwamm drüber, auch Briefträger sind nur Menschen! Und auch darüber, wie lange der gute Mann die Urlaubsgrüße schon wie Blei in seiner Tasche liegen hatte, kann – wie über alles weitere in dieser Angelegenheit – natürlich einstweilen nur spekuliert werden.
Gerold Reinicke hingegen staunt beim Öffnen des Briefkastens nicht schlecht: Via „Air Mail“? Aus Bali? Und vor allem: Adressiert an die Postleitzahl „46 Dortmund 70“? Ein schneller Blick auf das Absendedatum bringt dann die ganze spektakuläre Wahrheit ans Licht: Annähernd 12.000 Tage, seit dem 22.11.1988, müssen diese unerwarteten Urlaubsgrüße auf Reisen gewesen sein! Ob unter Palmen, auf hoher See oder in Rufweite der A40 – wer weiß das schon?
Eine Familie Becker jedenfalls gibt es am Anfang der Mechthildstraße inzwischen nicht mehr, wie Gerold Reinicke noch am selben Tag herausfindet. Ob die betreffenden Personen überhaupt noch leben, zieht der neue Besitzer des Weltenbummler-Kärtchens zumindest in Zweifel: „Das Schriftbild ist kein modernes, das hat kein Jugendlicher geschrieben“, ist er sich recht sicher. An der eigentlichen Adresse anzuklingeln und bei den heutigen Anwohnern nach dem Verbleib der Familie Becker zu fragen, das könnte Gerold Reinicke sich noch vorstellen. Oder vielleicht doch demnächst mal den Briefträger zu interviewen, denn „so etwas kommt sicherlich nur einmal im Leben vor. Wenn überhaupt!“
Alle weiteren Recherchen hingegen gibt er gerne in treue Hände, und erwartet gespannt deren Ausgang. Also: Wer ist oder war Herbert? Gibt es die Familie Becker oder deren Nachfahren noch? Warum und wie ist das Kärtchen überhaupt im Kasten der Reinickes gelandet? Wer immer etwas „Sachdienliches“ beitragen möchte, darf sich gerne vertrauensvoll an die Redaktion von „Wir in Dortmund“ wenden. Denn es gibt da eine Urlaubskarte, die würde nach über 33 Jahren unterwegs gerne: Endlich mal ankommen!