Es war ein warmer Maiabend, an dem der Frühling durch die Türen der Reinoldikirche ins Innere drang. In rascher Folge tupfte Camille Saint-Saëns kleine Blüten auf den Fußboden unterhalb des Altars, unter den Füßen des Vokalensembles „Sei colori“ beginnend und sich kaskadenartig rund um das Publikum und mittendrin ausbreitend. Einigen Gesichtern war bereits anzusehen, dass die Menschen das leise Kitzeln der Blätter an den Fesseln spürten. Denn die vier Stimmen, die, umgeben von den beinahe bodentiefen Kirchenfenstern, Saint-Saëns‘ „Les fleurs et les arbres“ sangen, umfingen die Menschen spätestens mit diesem zweiten Lied vollständig. Und allmählich wuchsen auch die besungenen Bäume im Altarraum empor, strebten Richtung Kirchendach, während die Singenden ihnen mit getragenen Tönen Zeit ließen, ihre Wurzeln auszustrecken.
Europa in der Reinoldikirche
Nur ein einziges Mal griff das Ensemble mit Saint-Saëns auf ein Lied in französischer Sprache zurück. Denn mit dem Wurzelwerk erstreckte sich nach und nach Europa in der Kirche. So stiegen Sophie Richter (Sopran), Heike Weber (Alt), Daniel Kasel (Tenor) und Hanno Kreft (Bass) mit dem „Sommerpsalm“ des schwedischen Organisten Waldemar Åhlén ein, bewegten sich auf sakraler Ebene im Lateinischen und Italienischen, mit Max Regers „O Maria, sei gegrüßt“ griffen sie auf ihre Muttersprache zurück, das Englische fand Raum unter dem Altar und mit „Uti vår hage“ kehrte das Schwedische in die Reinoldikirche zurück.
Den Abschluss machten „Sei colori“ mit Juan de Antxietas spanischsprachigem Lied „Con amores, la mi madre“ und „Bruremarsja fra Valsøyfjord“ des Norwegers Henning Sommerro – fast. Denn der Applaus des kleinen Publikums sprach eine eindeutige Sprache, weshalb das Ensemble sich für eine Zugabe mit „The road home“ von Steven Paulus entschied. „Rise up, follow me, I will lead you home“: Gesungen von diesen vier Menschen klang dieser Satz tief im Innern nach und ließ tatsächlich an eine leitende Hand glauben, die das Publikum sicher nach Hause brachte.
Dabei saß wohl so manchen das norwegische Hochzeitslied noch in den Füßen, war man doch soeben mit den Singenden durch die Fjorde gehüpft, vor allem aber mit Sophie Richter, die die Eingangspassage zunächst solo erklingen ließ und so eine besondere Glückseligkeit um sich herum verbreitete. Ob wohl die eine oder der andere, in der eigenen Straße angekommen, sich ein wenig verlegen umschaute, um dann das letzte Stück hüpfend zurückzulegen?
Nächste Stunde der Kirchenmusik am 19. Juni
Es war bereits die siebte „Stunde der Kirchenmusik“, für die die Reinoldikirche an jeweils einem Mittwoch im Monat reserviert ist. So begann das Jahr mit einem „Festlichen Neujahrskonzert für Trompete, Posaune und Orgel“. Im Februar setzte sich die Reihe mit einem „Musikalischen Aschermittwoch“ und im März mit dem „Kreuzweg“ fort. Zuletzt waren im April „Highlights der klassischen Gitarrenliteratur“ zu hören gewesen, auf die nun „Sei colori“ folgten. Für den 19. Juni um 18 Uhr nun ist ein Konzert von Annette Drengk und Kantor Christian Drengk mit dem Titel „Orgel trifft Klavier“ geplant. Zu hören geben soll es für die 8 beziehungsweise 5 Euro Eintrittsgeld an diesem Abend außerdem Werke für Orgel zu vier Händen und vier Füßen. Am 20. September folgt dann auf die Sommerpause das Vokalensemble der Probsteimusik Bochum mit „Barocker Vokalmusik von Licht und Schatten“ von Schütz, Hammerschmitz, Bach und anderen.