Wer heutzutage, sagen wir, fünf Jahre lang seinem Bundesliga-Club die Treue hält, ist vermutlich schon auf dem besten Weg in Richtung „Kult-Kicker“. Mit welchen Maßstäben soll man dann den Mann messen, der anno 1974 zum BVB stieß, um hier zunächst eine zwölfjährige aktive Laufbahn zu starten und dem Verein auch anschließend in unterschiedlichen Funktionen verbunden zu bleiben? Und dies bis heute, also bald ein halbes Jahrhundert lang. Und zu allem Überfluss wirkt Lothar Huber beim Interviewtermin so, als könne man ihn im Bedarfsfall auch heute noch als Joker bringen.
Sehnsucht nach Stammplatz
Als der gebürtige Pfälzer – das nur zur zeitlichen Einordnung – seine ersten Minuten im Westfalenstadion absolviert, ist Michael Zorc noch nicht ganz zwölf Jahre alt. Die Sehnsucht nach einem Stammplatz hatte Huber damals von Lautern in die 2. Liga wechseln lassen und außerdem die nagelneue Arena. „Da hatte ich“, erinnert sich der heute 70-Jährige, „Wochen vorher beim WM-Spiel Brasilien-Niederlande auf der Tribüne gesessen. Seitdem war ich voller Vorfreude auf den neuen Job.“ Dass der Außenverteidiger auf das richtige Pferd gesetzt hatte, erwies sich schnell, den damaligen Mannschaftsgeist wird er einfach nicht müde zu loben. Und zudem „war ich eben immer einer, der Ehrgeiz hatte und sich reingehängt hat.“ Hubers Publikum wiederum war eines, das Kämpfertypen von je her in sein Herz schloss: Da hatten sich offensichtlich zwei gefunden – auch wenn noch nicht abzusehen war, wie innig diese Beziehung noch werden würde.
Keine „öffentliche Person“
Kämpfer Huber wurde bald einer der schwarzgelben Publikumslieblinge, versenkte die Elfer, schlug Bananenflanken fast so schön wie Manni Kaltz und erlebte auf dem Stadionrasen einige unvergessliche Matches mit. „Zum Beispiel das 11:1 gegen Bielefeld“, erinnert er sich. „Zehn Tore in einer Halbzeit: Der Bundesliga-Rekord hält meines Wissens bis heute“. Auch das Relegations-Rückspiel zum Bundesliga-Aufstieg gegen den 1.FC Nürnberg gehört selbstverständlich in die Hubersche Top-Liste, machte doch niemand anderes als der Pfälzer seinerzeit mit seinem Treffer zum 3:2 den Deckel drauf und Borussias Rückkehr in die Eliteklasse perfekt. Ohne allerdings dadurch im Nachgang in Dortmund zur „öffentlichen Person“ zu werden. „Die heutige Spielergeneration“, bedauert Huber den Lauf der Dinge, „muss weit wegfahren, um auch nur die Chance auf Privatsphäre zu haben. Das gilt auch für den Urlaub: Irgendein Fotograf erkennt dich immer. Wir dagegen“, resümiert er, „durften damals noch richtig frei atmen.“
Party am Wall
Wie weit das Aufstiegsjahr 1976 in dieser Hinsicht in der Vergangenheit liegt, machen die weiteren Erinnerungen des Ex-Kickers deutlich: „Nach unserem Sieg waren wir erst einmal auf einem Empfang, aber da wurde es uns irgendwann langweilig. Die Mannschaft wollte feiern und sich unter die Fans mischen, und das haben wir dann auch gemacht: Bis 4 Uhr morgens ging die Party in einer Kneipe am Wall.“
„Dir kann hier nichts passieren!“
Ein aktiver Schwarzgelber blieb Huber bis zum nächsten Relegationskrimi: Dem Kampf gegen den Abstieg 1986 gegen Fortuna Köln. Zwei Coaches sind aus seiner Sicht aus der Reihe der Übungsleiter besonders hervorzuheben: Branko Zebec, „weil ich damals unter ihm auch in taktischer Hinsicht nochmal richtig viel dazugelernt habe – mit 29 Jahren wohlgemerkt.“ Sowie Otto Rehhagel: „Der war als Motivator unübertroffen. Da bist du oft genug mit dem sicheren Gefühl auf den Platz gelaufen: Dir kann hier nichts passieren!“
Freundschaften halten
Die eine oder andere Freundschaft aus aktiven Tagen pflegt der Mann, der bald auf ein halbes Jahrhundert als Teil der schwarzgelben Familie wird zurückblicken können, bis heute. Über den Weg laufen sich die Sportskollegen von einst – etwa Burkhard Segler, Amand Theis oder Marcel Raducanu – dabei natürlich insbesondere während der Heimspiele auf der Stadiontribüne. Der Rumäne ist es dann auch, der Lothar Huber neben Zoltan Varga spieltechnisch am meisten beeindruckt hat. „Die beiden konnten Sachen“, erinnert er sich, „da hast du nur noch gestaunt.“
Kein Sport-Rentner
Damals mitten im Geschehen, heute immer noch ganz nah dran: Hat jemand, der gefühlt schon immer dabei war, nicht mal Lust, seine Erinnerungen zu sammeln und weiterzugeben? Nein, winkt der Veteran ab, das sei – obwohl nicht gänzlich unsentimental – einfach nicht so sehr sein Ding. Ganz im Gegensatz offensichtlich zu sportlichem Ehrgeiz: Wie schafft ein 70-Jähriger es nur, dermaßen Fitness und Wettkampfgewicht beizubehalten?
Das liege, erläutert Huber, wohl an seiner immer noch vorhandenen Bereitschaft, sich richtig reinzuhängen. Denn Sport-Rentner ist der Borusse auch im achten Lebensjahrzehnt noch nicht geworden, coacht Huber doch seit Jahren erfolgreich den Schwerter Bezirksligisten VfB Westhofen. Und ein Übungsleiter, so ist er sich sicher, müsse eben immer mit gutem Trainings-Beispiel vorangehen. „Das“, resümiert Huber, „hält dich fit und geistig jung.“
Kein Tag ohne BVB
Keine Frage beantwortet der Junggebliebene so „aus der Pistole“ wie die letzte: Ob es in den letzten Jahrzehnten einen Tag gegeben habe, an dem er nicht mindestens einmal an „seinen“ BVB gedacht habe? Nein, lacht er, mit Sicherheit nicht. Dies natürlich auch, weil er seit Jahren in unmittelbarer Sichtweite des Stadions wohnt. Aber auch abgesehen davon: „Meine ganze Familie ist schließlich komplett BVB-infiziert“, erläutert Huber, „und deswegen ist der Verein immer präsent. Durchgehend!“
Aber wie sollte es auch anders sein bei jemandem, der gewissermaßen 50 Jahre schwarzgelber Geschichte verkörpert?