Randalierende Jugendliche nach dem Besuch eines Rock’n’Roll-Films, die Bombardierung Dortmunds, Kontakte junger Frauen zu lebenslustigen englischen Soldaten aus den Dortmunder „Barracks“. Solche Szenen sind es, die Albin Lenhards autobiografischen Roman „Ostwind dreht auf West“ ausmachen. Seit seiner Kindheit ist das Ruhrgebiet Lenhards Lebensmittelpunkt. Heute lehrt er als Privatdozent der Germanistik an der TU Dortmund.
„Ostwind“ ist ein mit seiner Mutter aus Pommern vertriebener Junge, der sich im Westen zurechtfinden muss. Mosaikartig werden Vertriebene und Einheimische mit ihren Lebensbedingungen in vielen Mini-Geschichten dargestellt: Mutter Franziska fährt zum Hamstern ins Münsterland, sie berichtet vom „Fringsen“, schimpft über so genannte Onkelehen und schwärmt von Hans Albers und Zarah Leander. Erlebtes wird einerseits mit Kinderblick erzählt, etwa wenn der nicht aufgeklärte Martin überzeugt ist, dass durch dreimaliges intensives Küssen Kinder entstehen. Anderseits weitet sich der Erzählraum, so dass sich der Ich-Erzähler als Chronist der Nachkriegszeit im Kohlenpott zeigt.
Im Rückblick wird auch das Leben in Pommern vor und im Krieg mit all seinem Leid dargestellt. Schließlich aber dreht der „Ostwind“ endgültig auf West: Martin Mehnert behauptet sich nicht nur im kargen Mansardenleben, sondern setzt sich auch ironisch-bissig von der Sexualmoral der katholischen Kirche ab, genießt das Pfadfinderleben, emanzipiert sich auf einem Gymnasium, empfindet die Welt der fünfziger Jahren mit ihren Nierentischen und Tütenlampen als Befreiung und genießt – radioselig – das Wunder von Bern.
Albin Lenhard: Ostwind dreht auf West. Von Pommern an die Ruhr. Anno Verlag, Ahlen, 204 S., 15, Euro, ISBN 978-3-949145-09-4