„Es war ein Kaltstart“ an der Hochofenstraße, wie Rainer Goddinger berichtet. Seine erwachsene Tochter lebt seit dem Sommer 2020 zusammen mit anderen jungen Menschen mit Beeinträchtigung in der WG „Heimspiel“, die der Verein Zusammenspiel Phoenix gemeinsam mit der Diakonie auf die Beine gestellt hat.
Eigentlich sollten die Bewohnerinnen und Bewohner auf der einen und die Mitarbeitenden der Diakonie auf der anderen Seite, die in dem neu gebauten Wohnhaus die notwendige Unterstützung übernehmen, sich zunächst gegenseitig kennenlernen. Dazwischen kam eine Pandemie. Doch Maxim wollte als zukünftiger Leiter der WG den Familien im Vorfeld zumindest einmal sein Gesicht zeigen und einen kurzen Austausch ermöglichen. „Er ist von Familie zu Familie gefahren“, hält Goddinger dem Diakonie-Mitarbeiter noch heute zugute. Im April hieß es dann plötzlich: „Einzug am 1.6. – Attacke!“ Damals musste es schnell gehen, aber „nach zwei Jahren haben sie sich ganz gut zusammengerauft“. Nun wirklich angekommen, nutzten die jungen Erwachsenen ihr Sommerfest zum zweiten WG-Geburtstag Anfang September, um sich der Nachbarschaft vorzustellen.
Die Rechte und Pflichten des WG-Lebens
Wie in einer WG üblich zogen im Juni vor zwei Jahren nicht irgendwelche Menschen zusammen. Stattdessen kannten sich die acht bereits, in Teilen aus der Holzener Christopherus-Schule, aber auch aus anderen Kontexten, so Goddinger: „Teilweise gehen sie auch zusammen in die gleiche Werkstatt.“ Auf je einem Flur für die Frauen und für die Männer gestalteten die Bewohner:innen ihre Appartements mit Wohn- und Schlafraum sowie einem Badezimmer mit ebenerdiger Dusche. Die heute 24-jährige Melanie hat es hier besonders gut getroffen, wie sie findet: „Ich habe das Zimmer mit dem Fernsehturm.“ Tatsächlich ist ihre Aussicht auf den Westfalenpark und den Hochofen nur schwer zu übertrumpfen.
So wie heute wollen die acht in den kommenden Jahren zusammenleben. Sollte doch einmal jemand ausziehen und jemand anderes nachkommen, „entscheiden die Bewohner, wer hier einzieht“, so Goddinger. Und noch etwas erfordert dieses Zusammenleben wie jedes andere. „Man hat hier in der WG auch Aufgaben“, betont die 25-jährige Laura. Ihr Mitbewohner Malik bestätigt: „Bei den Diensten müssen wir auch abends den Garten wässern. Blumen gießen.“
Auch das Sommerfest haben die Bewohner:innen selbst organisiert, mit großem Engagement, wie Goddinger aus den Gesprächen mit seiner Tochter weiß: „Das ist jetzt für unsere Tochter ein totales Highlight.“ Detlef Harms sieht für seinen Sohn im „Heimspiel“ auch eine entwicklungspsychologische Chance: „Das Selbstbewusstsein wird natürlich tierisch gesteigert, wenn wir uns raushalten.“ Gleichzeitig gibt er zu, dass ihm und den anderen Eltern das „Loslassen“ keineswegs leichtfällt.
Auf dem Dachboden spielt sich was ab
Hinter der Heimspiel-Fassade haben sich bereits ganz eigene Prozesse entwickelt, in die die Eltern höchstens noch organisatorisch eingespannt sind. Um die Führungen durch das Haus beim Sommerfest möglichst aufschlussreich zu gestalten, zeigten die jungen Erwachsenen, was sich zukünftig im Dachgeschoss ihres Hauses abspielen soll. Denn dass der Dachboden ausgebaut wird, ist bereits beschlossene Sache und Aussparungen im Estrich markieren bereits den zukünftigen Verlauf der Wände. Auf den einzelnen Flächen drapierten die Bewohner:innen Gegenstände, die die jeweilige Funktion des entstehenden Raumes repräsentierten. So hatten sie mehrere Sitzsäcke im Entspannungsraum, eine Leinwand im Kunstraum, ein Planschbecken im Bad, Trainingsgeräte im Fitnessraum und einen Schreibtisch im Büro arrangiert.
Hörde als Ort zum Wohnen
Doch das Leben in einem neuen Haus spielt sich nicht nur im Innenraum, sondern auch in der Umgebung ab, der gegenüber sich die eine oder andere Familie zunächst skeptisch gezeigt hatte. Bert Leerkamp jedoch, dessen „Kind“ ebenfalls im Haus wohnt, fasst seinen Eindruck von der Nachbarschaft folgendermaßen zusammen: „Das Umfeld ist im Umbruch.“ Tatsächlich hat WG-Leiter Maxim den Eindruck, dass die Heimspiel-Bewohner:innen auch in Hörde inzwischen gut angekommen sind. Wer in einem Imbiss oder Kiosk in der Umgebung arbeitet, kennt sie inzwischen. Ansonsten verhalte es sich auch an der Hochofenstraße eben wie in der Großstadt, wo die Nachbarschaft tendenziell wenig Berührungspunkte aufweise.
Zum Sommerfest jedoch hatten Diakonie und Verein umfangreich eingeladen, sodass sie tatsächlich 150 Anmeldungen erhielten. Und so drängten sich bereits am Nachmittag die Menschen in dem kleinen Garten, neugierig darauf, was sich in den letzten beiden Jahren denn da entwickelt hat, in dem weißen Haus an der Hochofenstraße.