Da gibt es einen Hof an der Hörder Schildstraße. Linst man um die Hausecke hinein, fallen vor allem die kräftigen Farben auf, in denen Garagen und Fassaden gestrichen sind. Auch drei große Banner mit abstrakter Malerei wären weithin sichtbar, wäre das hier nicht ein Hinterhof in einer kleinen Nebenstraße. Die Originale zu den Drucken wiederum stammen aus drei unterschiedlichen Ateliers – alle beheimatet in diesem Hof zwischen den Hausnummern 1 und 4.
„Dieses Movement“
Was auffällt, biegt man von der Piepenstockstraße nach rechts ab, ist ein Gebäude, das in tiefem Rot gehalten ist. In gelber Schrift steht dort „Crescendo“ an der Fassade. Hier hat Dagmar Bangert den Hut auf – als Musikerin und Künstlerin, die die Musikschule bereits seit 22 Jahren führt. Im Klavierzimmer im oberen Stockwerk der Schule hängen Malereien an allen Wänden, denn für Bangert gehören Musik und Kunst zusammen: „Ich finde, dass das eine sehr fruchtbare Verbindung ist.“ In der Konsequenz hat sie im Lauf des vergangenen Jahres ein illustriertes Notenheft für Cello entwickelt – mit Solo-Stücken, wie es der Zeit nun einmal entspricht. Den „Schwung in der Malerei“ in diesem Heft hat sie „der Musik nachempfunden“.
Auch die „Pandemischen Lichter“ an der östlichen Wand des Raumes zahlen auf die Bedürfnisse der Corona-geplagten Gesellschaft ein, denn „Farbe ist Licht“, findet der Künstler Rüdiger Philipp, aus dessen Atelier im anliegenden Hof diese Kunstwerke stammen. Auch er gibt sich sowohl in der Bildenden Kunst als auch in der Musik „diesem Movement“ hin, das beiden gemein ist. Bereits seit 50 Jahren ist der studierte Musiker mit seiner Gitarre aktiv, heute geht er im „Crescendo“ verschiedenen „Bandprojekten“ nach. Explizit erwähnt er seine Hausband mit Marco Rudolph, der das benachbarte Wohnzimmer am Piepenstock führt. Seit seinen Dreißigern – inzwischen zählt er 71 Jahre – arbeitet Philipp außerdem als Bildender Künstler.
Die Freiheit der Kunst
Nur wenige Schritte über den Hof führt eine Tür zu einem weiteren Kunstort. Hier haben sich Maureen Brauckmann und Matthias Certa eingemietet. Sprechen sie von ihrer Kunst, klingt das Futur immer wieder an. Anfang und Ende 20 träumen beide von der Kunst als Beruf. „Aber auch Kunst und nicht Design“, betont Brauckmann. Auf keinen Fall möchte sie auf Abruf irgendetwas hübsch machen, sondern immer frei gestalten. Sollte das finanziell nicht möglich sein, soll die Kunst Privatsache bleiben. Umgekehrt jedoch möchte sie ihre Werke stets zu erschwinglichen Preisen anbieten, um sie allen Menschen zugänglich zu machen. Aktuell arbeitet Brauckmann aushilfsweise in einer Bildhauerei.
Ihr Kollege hingegen ist Assistent eines Querschnittsgelähmten. Allerdings sind es vor allem „Eindrücke“ aus dem Privatleben, die Certa mit Acrylfarben und Spraydosen verarbeitet. „Meine Herangehensweise ist einfach, rein intuitiv mich selbst auszudrücken“, sagt er. Was dabei entsteht, nennt er „abstrakten Expressionismus“, den er für ein „nettes Nebeneinkommen“ verkauft. Allerdings geht es ihm niemals vorrangig um Geld: „Das ist für mich kein Geschäftsmodell!“ Wie auch seine Kollegin Brauckmann legt er Wert auf das eigene Echte. „Ich möchte 100 Prozent authentisch mein inneres Seelenleben auf die Leinwand bringen“, betont er. Mit „authentisch“ meint er allerdings keine exakte Kopie der Realität. Vielmehr geht es auch bei seiner Fotografie vor allem um den Ausdruck. Mittel wie Doppelbelichtung sind bei ihm an der Tagesordnung.
„Das Menschsein ausdrücken“
Wand an Wand mit Brauckmann und Certa arbeitet Christa Bremer. Ihr Hauptarbeitsfeld bilden Bronzeskulpturen, deren Schliff und Form nicht nur zum Anschauen da sind. Vielmehr legt Bremer Wert auf die Haptik ihrer Arbeiten, was die Bronzegießerei, die anhand von Bremers Gips- und Tonmodellen die fertigen Skulpturen gießt, vor echte Herausforderungen stellt. Doch Bremer zielt darauf ab, dass die Menschen „sich in der Aussage der Skulptur wiederfinden“, in dem Vertrauen, der Freundschaft, der Zweisamkeit der menschlichen Figuren. „Es ist mir ein Anliegen, das Menschsein, das Miteinander auszudrücken“, sagt Bremer. Besonders wirkungsvoll erscheint hier ein Skulptur von zwei Menschen mit insgesamt zwei Beinen: „Die gehen gemeinsam, aber halten einander nicht fest“. Sanft lässt Bremer auch ihre Vorstellung von einer guten Gesellschaft anklingen. Nicht zufällig zeigt die Skulptur einer Kleinfamilie das Kind an der Hand des Vaters. Für Bremer ist es kein Naturgesetz, dass ein Kind vor allem zur Mutter gehört.
Drei Ateliers und eine Musikschule gibt es momentan in diesem Hof an Schildstraße. Doch die Kunstschaffenden „hoffen, noch mehr Künstler zu uns ziehen zu können“, betont Inhaberin und Verwalterin Dagmar Bangert.