Ursprünglich hatte Stephan Hippe “Charles und wie er die Welt sah” für die Hamburger Kammeroper entwickelt. Von Anfang an aber war klar, dass das “multimediale Biographical”, wie Hippe sein Werk nennt, zum 100. Geburtstag seines Protagonisten Charles Aznavour auf Deutschlandtour gehen sollte. Und so machte es am vergangenen Donnerstag im Hansa Theater Station.
An den Planungen für sein Stück hatte sich der Chansonnier Aznavour persönlich beteiligt, erzählt Schauspieler Hippe: “Ich habe Aznavour selbst gekannt.” Entstanden ist eine Art Collage aus Filmausschnitten, Berichten von Aznavour und den Menschen, mit denen er sich umgab, und vor allem Chansons. “Es ist wirklich ein Theaterstück mit viel Musik”, versichert auch Stephan Hippe, der sich intensiv mit Aznavours Leben auseinandergesetzt hat.
Aznavour, die Menschen und die Musik
Nach etlichen Misserfolgen, habe Aznavour “immer dran geglaubt und immer weiter dran gearbeitet”, so Hippe. “Und dann hat’s geklappt”, trat im Jahr 1946 doch Édith Piaf in Aznavours Leben und nahm ihn mit auf Tournee. “Dann lief’s”, formuliert Hippe und “aus einem kleinen Charles” wurde “der große Aznavour”.
Dessen Lebensgeschichte greift Stephan Hippe in “Charles und wie er die Welt sah” auf und bettet selbst singend einige der rund 1.300 Titel, die Aznavour verfasste, in seine Erzählung ein. Dabei bleibt er im Französischen, übernimmt Aznavours eigene Übersetzungen oder singt von Jörg Knör oder selbst übersetzten Text. An der Bühnenrückwand finden in Videosequenzen Dalida, Michou, Gilbert Bécaud, Juliette Greco, Jacques Brel und andere Erwähnung oder kommen selbst zu Wort.
Dabei geht es stets um ihre Beziehungen zu Aznavour und die Lieder, die aus diesen Beziehungen entstanden. “Um nicht allein zu sein, bild’ ich mir täglich ein: Du liebst mich.” Mit dieser Textzeile beispielsweise bringt Hippe die Sängerin Dalida in Verbindung: “Neben Piaf gibt es niemanden, der so eine starke Spur hinterlassen hat wie Dalida.” Piaf wiederum wird zu einer “klarsichtigen Frau, die der Klarheit wie besessen aus dem Weg ging”, aber auch “mit einem Charakter, halb Schwein, halb heilige Theresa”. Und dann war da noch Gilbert Bécaud, “der neue Pianist von Edith” und die Bemerkung der Figur Aznavour: “Ich sage mir, dass er verdammt begabt sein muss, um Edith mit einem einzigen Chanson zu imponieren.” Schließlich aber ordnet Aznavour Bécaud eindeutig positiv ein: “Er war ein bemerkenswerter Komponist und ein großer Freund.” Jacques Brel als Freund zu bezeichnen, fällt Aznavour hingegen schwer, dem Stephan Hippe in den Mund legt: “Man verabscheut und kritisiert im Grunde das, was man am meisten bewundert” – wie eben den Chansonnier Brel.
In Fleisch und Blut jedoch ist ausschließlich Stephan Hippe im Guckkasten anzutreffen: “Auf der Bühne vergnüge ich mich selbst.” So ist er allein derjenige, der dem Publikum Aznavours Blick auf die Welt und die Menschen eröffnet und den 2018 verstorbenen Chansonnier mit seiner Stimme ein Stück weit ins Leben zurückholt.