„Die wirbeln hier, als gäb’s kein Morgen mehr“, sagt Tanja Smolka von „lokal willkommen“, und ihr Kollege Andreas Schmitz-Grenda ergänzt: „Sechs Töpfe gleichzeitig!“ Merun Kflom, Yafiet Ibrahim und Tesfalem Weldemichael sind an diesem Abend Anfang Februar ins Haus Rode am Hörder Neumarkt gekommen, um den Gästen ein echt eritreisches Mahl zu zaubern – und nicht ganz nebenbei aus ihrem Heimatland zu berichten.
Weldemichael ist Elektriker in der Gebäudetechnik. Noch in Eritrea, hatte der Staat andere Pläne mit ihm: er sollte Lehrer werden. Lehrer und nichts anderes, unabhängig davon, wie erfolgreich sein Ingenieurstudium verlief. Doch „als Lehrer kann man nicht arbeiten“, wenn man in Eritrea lebt, sagt Weldemichael, denn Lehrer leben in seinem Herkunftsland unterhalb des Existenzminimums. Nichtsdestotrotz, Weldemichael sollte Lehrer werden. Und dann sollte er eingezogen werden.
Natürlich hatte er den verpflichtenden Militärdienst nach der 11. Klasse absolviert, was blieb ihm auch anderes übrig. Wer in Eritrea nicht spurt, wird eingesperrt. Und die Gefängnisse gaben Weldemichael im Haus Rode Anlass genug, weit auszuholen. Denn wer in Eirtrea inhaftiert wird, erhält einmal täglich exakt portioniertes Brot und Wasser. Die Notdurft, die vor dem Hintergrund dieser Verpflegung gering ausfallen dürfte, verrichtet man in einen Eimer – in einer riesigen Menschengruppe auf engstem Raum. In einer Zelle von 40 Quadratmetern schlafen 80 bis 90 Personen auf dem Fußboden, nur nachts nach Geschlechtern getrennt. Und das ist nur der Alltag, was hinter den Kulissen passiert, ist unklar. Kommt hier jemand zu Tode, „fragt man am besten nicht“, sagt Weldemichael.
Seit 1991 ist Präsident Isayas Aferweki an der Macht und hat es seitdem „mit verschiedenen Tricks geschafft, Neuwahlen zu verhindern“, wie Jan Peter Schneider vom Verein Wir am Hörder Neumarkt formuliert. Aus naheliegenden Gründen ist internationale Berichterstattung vor Ort nicht gern gesehen, weshalb Medienschaffende kaum eine Chance auf ein Einreisevisum haben. Wenn es doch mal jemand schafft, mit einer Kamera oder auch nur Stift und Zettel die Grenze zu übertreten, wird er oder sie von den Menschen ferngehalten, denn „die könnten was Falsches sagen“, so Schneider, und wer etwas Falsches sagt, kommt ins Gefängnis. Stirbt er oder sie dort oder verschwindet, gilt die alte Regel: Man fragt am besten nicht.
In den Gefängnissen landet auch, wer sich der Zwangsarbeit widersetzt. Vor diesem Hintergrund fliehen viele vorrangig junge Menschen aus Eritrea nach Europa, die meisten von ihnen in die Schweiz. Kflom, Ibrahim und Weldemichael hat ihr Weg jedoch nach NRW und Anfang Februar an den Hörder Neumarkt geführt, wo sie den Gästen eine rote Suppe mit Zwiebeln und ganzen Eiern, eine Linsenpaste und Injera, einen traditionellen Hirsefladen, servierten. Scheuten sich einige der BesucherInnen auch, das Besteck auf dem Tisch liegen zu lassen, wie es die drei Eritreer vormachten, so erschien es ihnen bei einem anderen Snack vollkommen normal: der geschnittenen Pizza. Denn neben dem Bildungssystem hinterließen die italienischen Kolonisten, als sie das Land in den vierziger Jahren in britische Hände gaben, auch einige ihrer kulinarischen Gepflogenheiten.
Mit einem Injera vor sich liegend, auf dem sie kleine Probiermengen der eritreischen Köstlichkeiten verteilt hat, erzählt Smolka, warum auch sie heute mit Schmitz-Grenda gekommen ist. Schon lange nämlich pflegt „lokal willkommen“ als Beratung für Geflüchtete im Quartier engen Kontakt mit dem Verein Wir am Hörder Neumarkt, der in regelmäßigen Veranstaltungen Alteingesessene mit neuen AnwohnerInnen am Neumarkt zusammenbringt. Da lag es nahe, sich zusammenzutun. Weil Schneider die „Weltreise“ bereits seit einer ganzen Weile veranstaltete, entschied „lokal willkommen“, die eritreische Folge zu finanzieren. Schließlich betrachtet die Flüchtlingsberatung es als ihre Aufgabe, „Orte der Begegnung zu schaffen und vorhandene zu unterstützen“, so Smolka.
Im Herbst oder Winter soll diese Kooperation erneut aufleben. Bis dahin sind noch einige Anträge zu stellen, damit auch in den nächsten Monaten noch Weltreisen stattfinden können. Aber Schneider ist zuversichtlich, dass er seine Gäste schon bald wieder für einige Stunden entführen kann.