Ein Glöckchen ertönt. „Ehe wir beginnen“, stimmen die vier Erwachsenen am Tisch ins Gebet ein. Trotz des Sprechchores breitet sich die Stille in alle Ecken aus. Eine Betreuerin zündet eine Kerze an. Erst dann wünschen sich die Menschen am Tisch – zwölf Kinder sitzen hier, wenn sie vollständig sind – einen „guten Appetit“. Es ist 12 Uhr, Zeit zum Mittagessen in der ersten Klasse der Christopherus-Schule.
Das Thema Tagesstruktur
Klassenlehrer Jan Boumann hat unseren Besuch sorgfältig angekündigt. Einen „großen Fotoapparat“ würden wir mitbringen und im Hof der Kleinen unser Objektiv auf die Gesichter der Kinder richten. Dafür entfällt die Märchenstunde an diesem Mittwoch. Gerade für die autistischen Kinder breche ohne diese Vorbereitung „das ganze Kartenhaus“ Tagesstruktur zusammen, sagt Boumann. Doch auch die anderen Kinder seiner Klasse spreche er besonders aufmerksam an. Denn diejenigen, die hier zur Schule gehen, bezeichnet die Waldorf-Pädagogik als „seelenpflegebedürftig“, was abseits des anthroposophischen Vokabulars so viel wie „geistig behindert“ bedeutet.
Eine „förderungswürdige Herangehensweise“
Die „gedankliche Herangehensweise“ ist es, die Wilhelm Mizel als Filialleiter der Thalia Mayersche Dortmund-Hombruch als besonders „förderungswürdig“ betrachtet. Die Förderung brachte er auch gleich mit zum Termin in der Christopherus-Schule: Eine Spende über 250 Euro. Diese hatten die Mitglieder des Kult-Clubs gesammelt, die eine Payback-Karte für Thalia besitzen. Jedes Mal, wenn sie bei einem Einkauf ihre Karte zum Einsatz brachten, spendeten sie damit 10 Cent. „Je mehr Leute sich anmelden, desto mehr Spendengelder“, fasst Mizel zusammen. Bis zur Spendenübergabe war die Summe der Christopherus-Schule nicht bekannt, weshalb das Schulleitungs-Team bislang lediglich Ideen sammelte.
„Die Großen warten sehnsüchtig“ auf eine neue Tischtennis-Platte, weiß Boumann als Mitglied der Schulleitung in der Christopherus-Schule. Doch auch ein neues Fahrzeug für den Schulhof der Kleinen – vielleicht ein „Taxi“, auf dem zwei Kinder mitfahren können – kamen in Betracht. Zusätzlich zum symbolischen Riesenscheck brachte Filialleiter Mizel ein Erstlese-Heft mit nach Holzen. Einige der Kinder der Christopherus-Schule „werden niemals lesen lernern“. Für die anderen jedoch zeigte sich Boumann durchaus interessiert an „Emil, Nuffi und ich“.
Waldorf und Medien
Diese individuelle Förderung ist nur durch den Betreuungsschlüssel möglich. Auf die zwölf Kinder in Boumanns erster Klasse kommen drei Lehrkräfte und drei Integrationshelfende. Auch die „nicht-sprechenden“ Kinder können so in die nach Waldorf so wesentliche „Gemeinschaftsbildung“ einbezogen werden. Über eine spezielle Software auf dem Lehrer-iPad konnte an diesem Morgen ein Junge zum Beispiel den Wunsch nach gemeinsamem Singen im Stuhlkreis äußern. Denn entgegen des Gerüchts, Waldorf-Pädagogik und Mediennutzung widersprächen einander, sind in den höheren Klassen beispielsweise standardmäßig Beamer installiert. Auch für das Homeschooling waren Videokonferenzen auch mit den seelenpflegebedürftigen Kindern unvermeidbar. Indem man in der Gruppe sang, spürten die Kinder: „Ich bin nicht alleine.“
Die Beziehung zur Lehrkraft
Das betrifft unter anderem die Bezugs-Lehrkraft, die den Kindern in der Regel für acht Jahre erhalten bleibt, bevor die Jugendlichen in die Oberstufe wechseln. Dann übernehmen andere Lehrende, die auch das Praktikum für die „Großen“ organisieren. Ziel ist es, die Schüler*innen optimal auf ihre Arbeit in einer Behinderten-Werkstatt vorzubereiten.
„Kinder, die exzellent malen“
Bis dahin aber konzentriert sich der Unterricht stark auf den künstlerischen Bereich. „Es gibt Kinder, die schon exzellent malen“, sagt Boumann. Auch Gartenbau im eigenen Schulgarten sowie Holz- und Metallwerken sind selbstverständlicher Teil des Stundenplans. Fast ebenso wichtig sind aber wohl die Pausen, in denen die Kinder vielleicht in Zukunft mit einem neuen „Taxi“ fahren oder die Jugendlichen beim Tischtennis sportliche Erfolge feiern können.
Am 4. Oktober findet um 19 Uhr ein Kennenlern-Abend für interessierte Eltern in der Christopherus-Schule, Kreisstraße 55, statt. Anmeldungen nimmt Jan Boumann unter entgegen.