Wer beim Parkour die Chance sieht, von einem festen Standpunkt direkt zum nächsten zu gelangen, überspringt die Lücke zwischen beiden. Dieses Bild hat European Homecare veranlasst, die neue Notschlafstelle für junge Erwachsene nach einem solchen Sprung im Parkour-Fachjargon zu benennen. „Gap jump“ heißt der neue Ort für junge Wohnungslose in Barop – über den bodo e. V. bereits im September äußerst kritisch berichtete.
Gestern sind die ersten vier Personen zwischen 18 und 27 Jahren hier eingezogen. Damit werde „eine Lücke gut geschlossen im Hilfesystem“, wie Ulrich Langhorst als Vorsitzender des Sozialausschusses bei der offiziellen Eröffnung der Notschlafstelle am Freitag formulierte. Denn gegenüber dieser Altersgruppe komme die Jugendhilfe an ihre Grenzen, während die Angebote für erwachsene Wohnungslose den besonderen Bedürfnisse der jungen Menschen nicht entsprechen könnten, erläuterte Sozialdezernentin Birgit Zoerner. Gerade für diese Zielgruppe reichten „nur überlebensnotwendige Unterstützungen“ nicht aus, stattdessen seien die jungen Menschen auf eine „qualifizierte Perspektivklärung“ angewiesen, „eine echte Chance für ihr weiteres Leben“. Auf den Namen der Einrichtung anspielend betonte Einrichtungsleiter Jamshid Ghasemi, dass die Bewohner*innen „auf jeden Fall eine sichere Landung in unserem Haus haben“ würden.
European Homecare: Ein Träger in der Kritik
Was am Freitag niemand erwähnte, war der Hintergrund des Trägers European Homecare, unter dem von nun an die neue Notschlafstelle läuft. „Das Geschäft mit der Wohnungslosigkeit“, titelte Alexandra Gehrhardt in der September-bodo. Mit European Homecare, so Gehrhardt, trete „ein Akteur, der in einzigartiger Weise soziale Arbeit ökonomisiert“, als Träger der neuen Einrichtung auf. Dabei beruft sie sich unter anderem auf die Forschungsergebnisse des Wirtschaftswissenschaftlers Prof. Werner Nienhüser von der Universität Duisburg-Essen, den sie folgendermaßen zitiert: „Die Profitabilität des Unternehmens European Homecare ist hoch, die Risiken gering und handhabbar. Die Qualität der Leistungen ist in Frage zu stellen.“
Als Prof. Dierk Borstel und Tim Sonnenberg diesbezüglich an Dortmund – konkret an die Männerübernachtungsstelle (MÜS) in der Unionstraße, ebenfalls unter dem Dach von European Homecare – heranzoomten, kamen sie zu Ergebnissen, die diese Aussage untermauerten. „Besonders problematisch scheint insgesamt die ungleiche Machtverteilung zwischen Personal und Nutzern“, sagt Laura Nübold, die als Sozialarbeiterin an dem Forschungsprojekt teilgenommen hatte.
„Fast zynisch“ erscheine es vor diesem Hintergrund, dass es sich bei „gap jump“ „um eine Einrichtung für diejenigen handelt, die in die MÜS kategorisch nicht reingehen“, wie Alexandra Gehrhardt Tim Sonnenberg zitiert. Doch laut Aussage der Regionalleiterin von European Homecare Tina Kleßen soll die neue Notschlafstelle ein geschützter Ort sein, mit einem Infopoint, der 24 Stunden am Tag besetzt ist und „bei kleinen und großen Nöten, ob man jetzt eine Tube Zahnpasta braucht oder nicht schlafen kann“, unterstützt. Nicht von ungefähr sollen die jungen Frauen, die auf der Straße in verstärkter Angst vor sexuellen und andersartigen Übergriffen leben, im Erdgeschoss unterkommen, wo immer jemand ansprechbar sein soll.
„Durchatmen und neu starten“
Überhaupt steht bei „gap jump“ die Sicherheit, die Nutzer der MÜS immer wieder vermissen, stark im Fokus. Mehrfach ist im Flyer zur Einrichtung die Rede von abschließbaren Appartements und Zimmern und der „Tür, die man hinter sich zu macht“. Insgesamt können hier in acht Appartements und einer WG 20 Menschen in Ein- oder Zweibettzimmern unterkommen. Jedes Appartement sowie die WG verfügen über eine eigene Küche und ein eigenes Badezimmer. Im Dachgeschoss gibt es darüber hinaus eine Gemeinschaftsküche für tagesstrukturierende Angebote.
Bewusst habe man sich für einen Standort jenseits der „Hotspots“ entschieden, so Sozialamtsleiter Jörg Süshardt. Hier könnten die jungen Menschen „durchatmen und neu starten“. Und auch, dass sich das Gebäude unmittelbar an der Stadtbahnhaltestelle Am Beilstück befindet, ist nicht nur dem Zufall geschuldet. Regionalleiterin Kleßen: „Wir haben schon darauf geachtet, dass das eine gute Erreichbarkeit hat.“ Die harten Fakten sind also gegeben, um den Bedürfnissen der jungen Menschen bestmöglich entgegenzukommen. Nun kommt es auf die Soft Skills und das persönliche Engagement der Beteiligten an.