Die Menschen in Nepal haben gute Zähne. So unwahrscheinlich das vor dem Hintergrund mangelnder zahngesundheitlicher Aufklärung erscheint, so sehr verschiebt sich dieses Faktum momentan. Bis vor kurzem waren Produkte mit Zuckerzusatz in den Gebirgsdörfern des südasiatischen Landes nahezu unbekannt, erzählt Zahnarzt Dr. Jonas Heukamp: „Das, was gegessen wird, wird in der Region lokal angebaut.“ Nun aber begännen gerade Kinder, Limonade zu trinken und Süßigkeiten zu essen, eben „alles, was lecker ist“ – und das weiterhin bei eher sporadischem Zahnbürsteneinsatz. Zahnärztliche Behandlungen werden so Notwendigkeit, sind aber ohne Krankenversicherung und bei einem Leben in Selbstversorgung ohne relevante Geldflüsse häufig unbezahlbar – und hier kommt der junge Zahnarzt ins Spiel.
Ein zahnmedizinisches Praktikum im Schatten des Himalaya
Seit zwei Jahren arbeitet Dr. Heukamp im Huckarder Hauptstandort der Praxis Spranke. Im Frühjahr nun erhielt er einen Anruf von seiner Studienkollegin Dr. Mara Müller: „Jonas, hast du Lust, mit mir nochmal nach Nepal zu fahren?“ Bereits im Studium nämlich hatten die beiden gemeinsam eine sogenannte Famulatur in dem Land zwischen China und Indien absolviert. Einfach war es nicht, an ein solches Praktikum zu kommen, aber die Studierenden wandten sich an Dr. Agnes Wagner vom Verein Dental Volunteers: „Sie hat das relativ schnell in die Hand genommen.“
Mit ihrer Hilfe akquirierten die angehenden Zahnmediziner:innen Fördergelder beim Bund, um anschließend vier Wochen lang nepalesische Zähne zu behandeln. Nach seiner Rückkehr war Jonas Heukamp schnell klar, dass es bei dem einen Aufenthalt nicht bleiben würde. Und „vier Jahre später war es dann so weit“. Als er das Gespräch mit Dr. Müller beendet hatte, beantragte er zwei Wochen Urlaub in der Praxis Spranke und packte seine Sachen.
Mit dem Motorroller zum Zahnputztraining
Mit dem Motorroller fuhren die Zahnärztin und der Zahnarzt von ihrer Unterkunft aus bis zu zweieinhalb Stunden durch unbewohntes Land, um die Schulen zu erreichen, wo die Kinder nun professionelle Vorsorgeuntersuchungen und das inzwischen unverzichtbar gewordene Zahnputztraining erhielten. Anschließend bekamen die Lehrkräfte Listen der Kinder, die zu einer Behandlung in den sogenannten Health Post kommen sollten. Dort in der Gesundheitsstation stand Dr. Heukamp, Dr. Müller und den Studierenden, die nun unter Anleitung der ehemaligen Praktikantin und des ehemaligen Praktikanten Kinderzähne behandelten, ein Raum mit einigen Liegen zur Verfügung. Auch Dr. Heukamp und seine Kollegin selbst legten Hand an, gerade in den komplizierteren Fällen oder wenn besonders viele Kinder auf eine Zahnbehandlung warteten. Dann war der Zahnarzt gelegentlich gezwungen, sich das „Arbeiten ohne Assistenz“ anzutrainieren.
Zähne ziehen ohne die erlernte Angst vor dem Zahnarzt
Extraktionen waren während seines Aufenthalts in Nepal an der Tagesordnung, berichtet Dr. Heukamp von seiner täglichen Arbeit vor Ort. „Sehr tief im Knochen abgebrochene Zähne“ und Entzündungen bis zum Abzess ließen ihm oft keine andere Wahl, als die betroffenen Zähne zu ziehen. Auf Wurzelkanalbehandlungen musste er vollständig verzichten, waren weitere Termine doch unmöglich. Stattdessen war es häufig unabdingbar, den Eiter abfließen zu lassen und im Anschluss alles für eine gute Wundheilung zu tun. Denn bleibt ein entzündeter Zahn über lange Zeit unbehandelt, kann er gefährlich werden.
Während solche Vorstellungen hierzulande wohl so manche erwachsene Person beunruhigen, ist in Nepal „die Angst vor dem Zahnarzt nicht so verbreitet“, so Dr. Heukamp, und „die Kinder sind da einfach härter im Nehmen“. Große Narben zeugen bei vielen nepalesischen Kindern von wildem Spiel in der freien Natur und auch die Feldarbeit, offenes Feuer und die zur Versorgung notwendigen Gaskocher bergen ein Verletzungsrisiko, das mit dem deutscher Kinder kaum vergleichbar ist. „Deswegen ist die Compliance besser als in Deutschland“, erzählt der Zahnarzt, „Die Älteren haben super mitgemacht“.
Zahnmedizinische Hilfe in den Tiefen Asiens
Waren die Kinder erst vier oder fünf Jahre alt, gingen sie wie die meisten kleinen Patient:innen häufig ängstlicher in die Behandlung, auch wenn es nur um eine Fissurenversiegelung zum Schutz der Backenzähne ging. Hinzu kam, dass es sich für einige Kinder um die erste Begegnung mit einem Weißen handelte. Für Dr. Heukamp hingegen war die Arbeit mangels Zahnarztstuhl und Röntgen erschwert. Doch das schreckt ihn nicht: „Es gehört zu mir, dass ich gern Menschen helfe.“ Zwar geht er davon aus, dass es „noch ein paar Jahre dauern“ wird, aber dass seine Zahnarztausrüstung früher oder später wieder im Frachtraum eines Flugzeugs liegen wird, steht für ihn fest – dann vielleicht auf der Reise in die Mongolei.