Er ist ein musikalischer Lebensretter, Chirurg und Notfall-Ambulanz in einer Person: Wenn nichts anderes mehr geht und nur noch geballte Fachkompetenz helfen kann, dann klingeln die Akkordeon-Besitzer des Landes bei Jose Dias an. Und dessen Werkstatt steht … nein, weder im pulsierenden Berlin noch im schicken München, sondern im Garten einer Kirchlinder Doppelhaushälfte.
Anno 2003 ist der gebürtige Portugiese, der als Kind mit seinen Eltern nach Deutschland kam, hier vor Anker gegangen – und hat an der Konradstraße seither bereits Musikprofessoren, zertifizierte Weltmeister oder Mitglieder der „Bläck Fööss“ willkommen heißen dürfen.
Jose Dias‘ Leidenschaft für das „Schifferklavier“ wiederum ist im Grunde eine lebenslange, besaß doch schon sein Onkel im heimischen Nazaré „die bedeutendste Werkstatt in weitem Umkreis“. Hier wuchs der kleine José inmitten von Musik auf und blieb seiner Begeisterung auch anschließend im Erwachsenenalter treu. Da arbeitete er hierzulande mittlerweile als ausgebildeter Zerspanungsmechaniker für Deilmann & Haniel, widmete sich am Feierabend aber doch wieder seinen Akkordeons. Und stellte alsbald fest, wie sehr sein Hauptberuf ihm hierbei in die Karten spielte: Schließlich war es dem Neu-Dortmunder im Gegensatz zu vielen seiner Berufskollegen problemlos möglich, Ersatzteile sogar selbst zu fertigen bzw. zu modifizieren – bei einem Instrument mit (gerüchteweise) bis zu 16.000 Komponenten ein unschätzbarer Vorteil.
Irgendwann überstiegen die Einnahmen aus dem „professionellen Hobby“ dann sogar José Dias sonstigen Verdienst, so dass der damals 42-Jährige im Jahr 2007 endgültig die Seiten wechselte. Heute biegen sich die Regale an der Konradstraße – natürlich nur sprichwörtlich! – unter ihren Lasten, beherbergt die Werkstatt rund 80 Instrumente, die auf ihre Genesung warten. Prunkvolle sind darunter und schlichte, Tasten-Akkordeons ebenso wie solche mit Knöpfen und sogar ein paar ultra-moderne inkl. digitaler Schnittstelle. Nur solche mit Billigst-Innenleben aus Plastik kommen dem 58-Jährigen nicht ins Haus und lassen José Dias schon beim Gedanken daran erschaudern.
Wichtigste Bestandteile aller „Schifferklaviere“ sind, wie er ausführt, die Stimmpfeifen. „Die können maschinell produziert worden sein und dann in etwa 1000 € kosten. Oder man wählt handgefertigte und investiert rund 6000 €.“ Bekommt dann dafür aber auch ein Instrument mit höherer Lebenserwartung, das sich außerdem längst nicht so schnell verstimmt.
Geht dann aber doch mal etwas schief, klingelt in vielen Fällen das Telefon an der Konradstraße. „Ich hatte auch schon“, blickt der Reparatur-Experte zurück, „um 23 Uhr verzweifelte Anrufe von Künstlern, die am folgenden Abend im Jazzclub Domicil oder den Westfalenhallen auftreten wollten.“ Im extremen Notfall setzt sich José Dias dann auch mal sofort an seine Maschinen. Grundsätzlich aber, so unterstreicht er, brauche man für seine Profession nicht zuletzt: Ruhe! Und zwar sowohl innere als auch äußere. „Weswegen ich“, führt der 58-Jährige aus, „solch einen Betrieb auch niemals in der Innenstadt führen könnte.“ Zwei Werktage plus Samstag gehören mittlerweile ausschließlich dem Feilen und Fräsen, Sägen und Stimmen in der heimischen Werkstatt. Sowie – sofern verabredet – der Auslieferung der guten Stücke, denn ein Postversand würde russischem Roulette gleichen. Auf diesen Touren verschlägt es José Dias dann auch mal weit Richtung Süden oder an die holländische Grenze, denn „angefragt werde ich im Umkreis von mindestens 800 km“, erzählt er.
Vor der Zukunft ist dem Akkordeon-Doktor, der privat „alles mögliche, vor allem aber volkstümliche und lateinamerikanische Sachen“ hört, dann auch in keinster Weise bange. Als ein Großteil der Welt den Gürtel enger schnallen musste – in der Pandemie nämlich – sei die Lust der Leute am Reparieren-lassen offenbar noch gewachsen, wie er unumwunden zugibt. Und obwohl die Zahl der Akkordeon-Hersteller selbst im Traditionsland Italien traurigerweise rückläufig sei, deute das öffentliche Interesse am Instrument aus seiner Sicht eher in die andere Richtung. „Auch wegen der vielen JeKI-Projekte im Lande“, sortiert er ein. Weswegen der Sehnsuchtsort aller Akkordeonisten in Not auch künftig nicht in einer der großen Metropolen zu finden ist. Sondern in der Konradstraße in Dortmund-Kirchlinde.