Niklas Süles „Monstergrätsche“ im Spiel gegen Paris St. Germain ließ das Rampenlicht endlich einmal wieder auf eine imposante Rettungstat fallen, grundsätzlich aber werden von der Linie gekratzte Bälle wohl immer im Schatten spektakulärer Treffer bleiben. Wie es Offensivkräfte eben auch seit jeher leichter bis zum Star bringen als Torverhinderer. Was allerdings mitunter durchaus schade ist, denn wo viele Torschützen mit technischer Raffinesse glänzen, imponiert bei den Abwehraktionen wohl vor allem Einsatzwille und Kampfgeist: Zwei Attribute, mit denen die schwarzgelben Anhänger schon immer viel anfangen konnten.
Daher sollen die größten bzw. außergewöhnlichsten BVB-Rettungstaten der letzten Jahrzehnte hier eine verdiente Würdigung erhalten – aus subjektivem Blickwinkel, wie sich versteht! Treue Fans aber dürften sich an jeden der besonderen Momente dieser „inoffiziellen Top 5“ mit versonnenem Lächeln zurückerinnern.
Platz 5: Nico Schlotterbeck, 29. Oktober 2022, Eintracht Frankfurt – Borussia Dortmund (Bundesligaspiel), 57. Minute (Zwischenstand 1:2, Endstand 1:2)
Kennt man ja aus dem eigenen Alltag: An jeder Ecke trifft man alte Bekannte. Wobei Nico Schlotterbeck persönlich selbstverständlich nie gemeinsam mit Mario Götze in schwarzgelb aufgelaufen ist. Borussias Held aus älteren Zeiten jedenfalls bekam am zwölften Spieltag der vorletzten Saison nach einer knappen Stunde den Ball gute 10 Meter vor dem Tor in den Lauf gespielt. Gregor Kobel hatte erst Sekunden vorher einen Brand löschen müssen und war noch nicht wieder zurück im Kasten. Dafür sprang Dortmunds Innenverteidiger im wahrsten Sinne des Wortes ein und holte nach beherztem Sprung das Leder mit dem Oberschenkel von der Linie. Anschließend schaukelten die Borussen den Vorsprung irgendwie nach Hause. Auch die etwas unspektakuläreren Rahmenbedingungen lassen „Schlottis“ Rettungsaktion ein wenig hinter die anderen legendären Heldentaten zurücktreten. Sehenswert war’s trotzdem.
Platz 4: Jürgen Kohler, 23. April 1997, Manchester United – Borussia Dortmund (Champions-League-Halbfinale), 18. Minute (Zwischenstand 0:1, Endstand 0:1)
Dieser Frühlingsabend im Old Trafford kann durchaus als die „Geburtsstunde“ eines Fußball-Gottes bezeichnet werden. Zumindest war sich die BVB-Anhängerschaft, was Jürgen Kohler anging, diesbezüglich nach 90 Minuten einig. Wegen einer von Stefan Klos noch abgefälschten Hereingabe verlor Kohler am langen Pfosten das Gleichgewicht, so dass Gegenspieler Eric Cantona zwischen sich und dem leeren Tor nur noch einen liegenden Abwehrmann zu überwinden gehabt hätte. Der aber streckte in einem blitzschnellen Reflex das Bein raus und erwischte die Kugel tatsächlich mit der Sohle. Allen Bemühungen des englischen Star-Ensembles zum Trotz hielten die Borussen auch in der Folge ihren Kasten sauber. Das eigentliche Happy-End dieser Geschichte ging dann bekanntermaßen fünf Wochen später in München über die Bühne!
Platz 3: Niklas Süle, 13. Dezember 2023, Borussia Dortmund – Paris St. Germain (Champions-League-Gruppenspiel), 18. Minute (Zwischenstand 0:0, Endstand 1:1)
Zur Wahrheit gehört eindeutig auch, dass Dortmunds Abwehrhüne sich beim Rückspiel gegen PSG in der 18. Minute von Kilian Mbappe zunächst ganz schön abkochen ließ. Aber dann! Als der Franzose nämlich von der Linie des Fünf-Meter-Raumes abzieht, ist Süle mit ihm quasi gleichauf – und haut das Ding anschließend im Rutschen dennoch aus dessen vorgesehener Flugbahn! Möglich macht das die „Grätsche Gottes“, wie die Tagespresse kurz darauf originellerweise titelt. Während der Verteidiger anschließend ungebremst ins Netz rauscht, landet die Kugel stattdessen irgendwo inmitten der anwesenden Fotografen, und der französische Star-Kicker bemüht sich merklich, das Gesehene zu verarbeiten. Die Süddeutsche gar meint, hier ein Stück „deutscher Grätschen-Kulturgeschichte“ miterlebt zu haben. Dem Ruf des Hauptdarstellers jedenfalls könnte die wagemutige, populäre Aktion mehr genutzt haben als alles, was er zuvor in unterschiedlichen Trikots abgeliefert hat. Jetzt sehnt sich das Publikum an der Strobelallee nach Bestätigungen dieses Mentalitäts-Nachweises.
Platz 2: Neven Subotic, 25. Mai 2013, Borussia Dortmund – Bayern München (Champions-League-Endspiel in London), 72. Minute (Zwischenstand 1:1, Endstand 1:2)
Dass Neven Subotic ein Mensch mit großem Herzen ist, hat er im Laufe des letzten Jahrzehnts auf eindrücklichste Art bewiesen. Vom Kämpferherz des heute 35-Jährigen durften sich die Fans schon im Laufe seiner aktiven Karriere oft überzeugen. Im letzten Champions-League-Kapitel des Jahres 2013 gegen die Dauerrivalen aus München etwa schiebt Thomas Müller das Leder quer vor das bereits leere Borussentor. Der BVB-Verteidiger hat im Vergleich zu Bayerns Arjen Robben locker die doppelte Distanz bis zum Ball zurückzulegen, aber womöglich ist dieser ein wenig paralysiert, als er aus dem Augenwinkel etwas Schwarzgelbes mit Schallgeschwindigkeit heranrauschen sieht. Jedenfalls macht es den Eindruck, als ob Münchens Holländer – gegen die Borussen mal Triumphator und mal Häuflein Elend – die Situation erst realisiert, als Subotic schon samt Ball vor seiner Nase über die Torlinie gerutscht ist und das Spielgerät ins Seitenaus befördert hat.
Das glückliche Ende jedoch bleibt den Dortmundern in diesem Falle verwehrt, wodurch sich in der Rückerinnerung immer ein wenig Wasser in den Wein mischt. Trotzdem: Sehr coole Aktion aus der Rubrik „nie aufgeben“!
Platz 1: Sven Bender, 26. April 2017, Bayern München – Borussia Dortmund (DFB-Pokal-Halbfinale), 63. Minute (Zwischenstand 2:1, Endstand 2:3)
Schon biegt er wieder um die Ecke, der Arjen Robben. An diesem Müchner Frühlingsabend 2017 allerdings darf er die Arme schlussendlich nicht nach oben recken, und das liegt zum sehr großen Teil an „Manni“ Bender. Nach einer Stunde liegen die Bayern im heimischen Stadion nicht nur mit 2:1 in Front, sondern scheinen die Schwarzgelben auch am Rande eines K.O. zu haben. Als Robben aber nach Lewandowski-Zuspiel fast wie bei einem leicht versetzten Elfer vor dem BVB-Kasten zum Schuss kommt, mobilisiert Dortmunds legendär furchtloser „Sechser“ bemerkenswerte Reserven. Wie kann man einen so scharf geschossenen Schuss noch mit der Fußspitze erreichen? Auch Millionen von TV-Zuschauern dürften sich kollektiv verblüfft die Augen reiben, als die Kugel anschließend nicht im Netz zappelt, sondern an den Pfosten klatscht und nach außen wegspringt. Mit seiner Aktion setzt Bender, der einmal mehr bewiesen hat, dass man es nur wollen muss, bei den Borussen zudem jede Menge neuen Kampfgeist frei. Am Ende holt sich der BVB tatsächlich noch den Sieg und zieht damit zum vierten Mal ins DFB-Pokalfinale ein. Über die Schlüsselszene des Matchs gibt es rückblickend keine zwei Meinungen.