Valérie Raillon hat eine Ahnung, was sie richtig gemacht hat. Für ihre Arbeit zur Siedlung Felicitas, die sich bis in die Siebzigerjahre dort befand, wo die Hörder:innen heute unmittelbar neben Phoenix West auf der Halde spazieren gehen, befragte die Schülerin des Goethe-Gymnasiums Menschen, die dort gewohnt hatten. In Kontakt kam sie mit ihnen, indem sie selbst auf der Halde unterwegs war und an Haustüren klingelte. Einen persönlichen Bezug hatte sie nicht zu den ehemaligen Bewohnenden der Zechensiedlung. Das kam ihr wohl zugute. Im November nämlich erhielt sie für ihre Arbeit, im Rahmen des Begabtenförderungsprojektes „Goethe-Genius“ an ihrer Schule verfasst, den Geschichtspreis des Bundespräsidenten, wobei die Jury vor allem Valéries „objektive Sichtweise“ lobte.
Omas Worte „kritisch hinterfragen“
Viele andere Jugendliche, die einen der Landespreise in ihrem jeweiligen Bundesland erhalten hatten, hatten sich vor allem auf die Erzählungen ihrer Verwandten und Bekannten berufen. Auf die Füße fiel ihnen dabei nach Valéries Einschätzung, dass „keiner das, was die Großmutter gesagt hat, kritisch hinterfragen wollte“. Auch dass sie mehrere Ansprechpersonen zurate gezogen hatte, wurde ihr offenbar hoch angerechnet, wie sie die Aussagen der Jurymitglieder deutet: „Sie meinten, dass diese Vielfalt einen positiven Ausschlag gegeben hatte.“
„Große Resonanz“ bis zum Bundespräsidenten
Noch immer ist Valérie mit ihren Zeitzeug:innen im Gespräch. „Ich trage zusammen, was sie mir erzählen“, benennt die 16-Jährige ihren momentan nebenher laufenden Arbeitsprozess. So traf sie sich beispielsweise Anfang Dezember mit einem ihrer Ansprechpartner zu einer Podiumsdiskussion im Hörder Heimatmuseum, im Rahmen derer sie ihre Arbeit präsentierte. Sollte in nächster Zeit ausreichend Material zusammenkommen, will sie eventuell eine Fortsetzung schreiben, zumal sehr viele Menschen Interesse an ihrer Arbeit zeigen, wie sie berichtet: „Ich finde es spannend, dass es so eine große Resonanz hatte.“ So bestellen nicht nur ehemalige Bewohnende und deren Angehörige ihre Arbeit, sondern auch Archive aus ganz Deutschland.
Das eindeutigste Feedback stellt aber wohl der Geschichtspreis des Bundespräsidenten dar, den Valérie im November entgegengenommen hat. Die Begegnung mit Frank-Walter Steinmeier erschien Valérie jedoch als „relativ unglamourös“. Den Präsidenten selbst hingegen fand sie „sehr freundlich“. Gerade dass er – angekündigt mit den Worten „Meine Damen und Herren: der Bundespräsident“ – die Ehrerbietung mit einer bescheidenen Geste zurückwies, „fand ich witzig“
Ein entspannter Blick in die Zukunft
Der Preis, den Valérie im Schloss Bellevue erhielt, ist mit 2.500 Euro dotiert. „Bevor die Inflation zuviel wegfrisst“, will sie das Geld anlegen, ansonsten mal schauen, wofür es sich einsetzen lässt. Mit dieser entspannten Attitüde geht Valérie auch an ihre Zukunftspläne. Für den Goethe-Genius soll es in diesem Jahr wieder eine Physikarbeit werden, bevorzugt zum Hertzschen Dipol. Doch das könnte eine experimentelle Herausforderung werden, kommt es doch unter Umständen zu „zu großen Spannungen, als dass das nicht lebensgefährlich sein könnte“. An einer abgespeckten Forschungsmethode arbeitet Valérie daher noch. Der nächste Geschichtswettbewerb hingegen ist für das kommende Jahr angesetzt. Ob Valérie dann wieder teilnehmen will, „steht und fällt mit dem Thema“.