Ist „Edel-Joker“ eigentlich eine Berufsbezeichnung? So lange wie die Bundesliga jedenfalls gibt es das entsprechende Job-Profil noch nicht, war doch überhaupt erst ab der Saison 1967/68 das Einwechseln eines Feldspielers erlaubt. Und während das allererste Bundesliga-Tor der Geschichte bekanntlich – erzielt durch Timo Konietzka – auf das Konto der Schwarzgelben geht, darf sich der 1. FC Kaiserslautern das allererste Joker-Tor auf seine Fahnen schreiben: Am 26.8.1967 bugsierte Gerhard „Ömmes“ Kentschke in der letzten Spielminute das Leder im Hamburger Volksparkstadion zum 1:1-Endstand über die Linie.
Die entsprechende Bezeichnung hingegen kam damals ziemlich sicher noch keinem Sportreporter über die Lippen, und im Mutterland des Fußballs dürfte sie bis heute für genau so viel Stirnrunzeln sorgen wie der skurrile Begriff des „Public Viewing“. Als ihr Erfinder nämlich gilt kein Geringerer als WDR-Reporterlegende Heribert Faßbender, der den Gladbacher Hans-Jörg Criens vor rund 36 Jahren angesichts dessen zahlreicher Endspurt-Treffer zum „Joker“ adelte.
Bis heute haftet solch einer Auszeichnung bei aller Wertschätzung etwas Zwiespältiges an, denn schließlich kann nur der zum Edel-Joker werden, dem die Trainer über längere Zeit nicht mehr als eine Teilzeit-Beschäftigung zutrauen – manchmal sogar der, den von der sportlichen Leitung ein bisschen unterschätzt wird. Dass sich in den Joker-Torschützenlisten nicht nur die Mega-Stars tummeln, ist von daher wenig überraschend.
In der Folge haben wir sowohl das BVB-interne Spitzenranking als auch die treffsichersten Bundesliga-Joker aller Zeiten für Sie zusammengefasst:
a) die besten Joker des BVB
Rang 3: Norbert Dickel – 7 Tore
Karriere und Erfolge des heutigen Stadionsprechers, der sich selbst einst eigentlich für „zu schlecht für die Bundesliga“ hielt und dann zum Helden von Berlin aufstieg, sind hinlänglich bekannt. Aber drittbester BVB-Joker aller Zeiten – wie denn das?
Ursache hierfür ist, dass „Nobby“ seine schwarzgelbe Laufbahn dereinst fast so fulminant startete wie viele Jahre später Erling Haaland: Nach seinen ersten 135 Einsatzminuten, die sich auf sieben Teilzeit-Einsätze verteilten, standen für ihn bereits vier Treffer zu Buche – erzielt beim 4:2 im Uerdinger Grotenburg-Stadion, dem 7:0-Kantersieg gegen BW Berlin sowie beim 4:1-Heimerfolg gegen Fortuna Düsseldorf.
Zwei Spielzeiten später und ein wenig seiner Form hinterherlaufend, wurde er von Horst Köppel gegen Hannover 96 erst in der 56. Minute aufs Feld geschickt. Dickel bedankte sich mit einem lupenreinen Hattrick binnen sechs Minuten. Unterm Strich hat „Nobby“ seine sieben Joker-Tore also in gerade einmal vier Spielen bzw. 79 Einsatzminuten hingelegt!
Rang 3: Erdal Keser – 7 Tore
Früher war weniger Statistik. Bis zu Nobbys Hattrick lag der Vereinsrekord, die Joker-Tore betreffend, bei Erdal Keser – zur Kenntnis genommen wurde das in analogen Zeiten aber nicht allzu sehr. Überhaupt balancierte der von einem Hagener Amateurclub ins Westfalenstadion gewechselte offensive Mittelfeldakteur Zeit seiner schwarzgelben Karriere auf einem schmalen Grat zwischen Stamm- und Ergänzungsspieler. Dass die Trainer bis zum Bosman-Urteil ihre ausländischen Arbeitskräfte nur wohldosiert einsetzen durften, schmälerte Kesers Karrierechancen dabei wesentlich.
Seine erfolgreichste Bundesliga-Zeit bei den Borussen dürfte die Saison 1983/84 gewesen sein, als er mit neun Treffern Top-Scorer des BVB wurde: Man schrieb soeben das „Jahr eins nach Manni Burgsmüller“!
Auch in der Spielzeit zuvor trug der heute 59-Jährige neun Tore zur schwarzgelben Bilanz bei, davon vier als Joker. Mit einem Sololauf rettete der 25-fache türkische Nationalkicker am 32. Spieltag einen Punkt beim 4:4 gegen die damals noch etwas „irdischeren“ Bayern.
Nach seinem Karrierefinale bei Galatasaray Istanbul lebt der Borusse früherer Tage heute mit seiner Familie wieder in Hagen.
Rang 2: Marcio Amoroso – 8 Tore
„Marcio Amoroso“ ist und bleibt ein Name, der beim Borussen-Anhang zwiespältige Gefühle auslöst! In seinem Antrittsjahr Torschützenkönig und schwarzgelbe Lebensversicherung in einem, gewannen in der Folge seiner BVB-Jahre Zwistigkeiten und Allüren mehr und mehr die Oberhand. Vor allem wurde klar, dass der brasilianische Stürmer und sein Coach Matthias Sammer zwei Typen waren, die wohl nie zusammen in eine WG ziehen würden. Immer seltener vom Disziplin-affinen Coach für die Stammformation vorgesehen, stockte der auch auf dem Spielfeld oft eigensinnige 25 Mio.-Transfer allerdings sein Joker-Tore-Konto kontinuierlich auf.
Seinen extrem gut dotierten Vertrag in Zeiten extrem leerer Vereinskassen kann man dem heute 46-jährigen Brasilianer selbst wohl kaum anlasten. Den unrühmlichen Abgang inklusive Ausbootung am Ende seiner dritten BVB-Saison indes dürfte er mit dem Beharren darauf, sich in seiner Heimat medizinisch behandeln zu lassen, bewusst provoziert haben.
Rang 2: Ewerthon – 8 Tore
Der dribbelstarke Brasilianer, 2001 mit 21 Jahren an die Strobelallee gewechselt, erreichte nie ganz den Kultstatus seines Landsmannes Amoroso, lieferte dafür aber vier Spielzeiten nacheinander zuverlässig Tore und Assists. Erstaunlich, dass er bei jeweils um die 2000 Spielminuten pro Saison auch sein Joker-Treffer-Konto derartig füllen konnte. Zu denen gehörte auch eines der Marke „legendär“: Am letzten Spieltag der Saison 2001/02 musste der BVB zu Hause gegen Bremen gewinnen, um im Fernduell mit Leverkusen und den Bayern die Nase vorn zu behalten. Henrique Ewerthon de Souza, gerade einmal 42 Sekunden auf dem Feld, grätschte den Ball aus spitzem Winkel über den Innenpfosten ins Tor, und 17 Minuten später feierte Dortmund – diesmal fast ein wenig ungläubig – seinen nächsten Meistertitel. Drei weitere Jahre blieb der Südamerikaner dann noch an Bord, bis er zum Abschluss leider noch einmal in Marcio Amorosos Fußstapfen trat und sich – flankiert von Missstimmung und Vorwürfen – nach Spanien verabschiedet.
Rang 1: Paco Alcacer – 12 Tore
Als Paco Alcacer vor ziemlich genau zwei Jahren seine ersten Auftritte im Borussendress hinlegte, schien es möglich, dass bald sämtliche Joker-Statistiken der deutschen Eliteklasse pulverisiert sein würden – trotz anhaltender Fitness-Probleme nämlich traf der heute 27-Jährige quasi nach Belieben. Ein Tor nach dem ersten Kurzeinsatz, drei nach dem zweiten, sechs nach dem dritten: Da mussten alle Sport-Statistiker des Landes aufpassen, dass sie überhaupt noch hinterherkamen. Zum Griff nach den Sternen allerdings reichte es beim Spanier dann in letzter Konsequenz doch nicht, denn was ihm unverändert treu blieb, war ausgerechnet nicht sein Killer-Instinkt, sondern sein Gesundheitsdefizit. Im Rückblick fällt es daher auch schwer, Paco Alcacers wirkliche Stürmer-Klasse einzuordnen. Als Joker indes hat er Maßstäbe gesetzt!
b) die besten Bundesliga-Joker
Rang 3: Alexander Zickler – 18 Tore
Als Bayern München sich 1993 den damals 19-jährigen Alexander Zickler von Dynamo Dresden angelte, konnten sich die Vereine aufgrund existierender „Ausländer-Regelung“ nur sehr begrenzt auf dem internationalen Transfer-Parkett tummeln. Doch auch damals klappten die Münchner ihre Brieftasche zwischen den Spielzeiten mit schöner Regelmäßigkeit sehr weit auf. So hießen die Konkurrenten des Jungprofis um einen Stammplatz zu Beginn seiner Erstligakarriere u. a. Bruno Labbadia, Jean-Pierre Papin, Marcel Witeczek oder Jürgen Klinsmann. Einen Stammplatz erkämpfte sich der in Bad Salzungen geborene Kicker in seinem zweiten Münchner Jahr dennoch, denn „Maestro“ Giovanni Trapattoni hielt große Stücke auf ihn. Am Sturmduo Elber/Jancker hingegen gab es für den Stürmer ab der Saison 1997/98 immer seltener ein Vorbeikommen, und so begann der heutige Gladbacher Co-Trainer notgedrungen, an seinem Ruf als „Edel-Joker“ zu arbeiten.
Mit einem Konto von insgesamt 18 Treffern bei seinem Abschied von der Säbener Straße – davon die Hälfte unter Coach Ottmar Hitzfeld – führte er die entsprechenden Statistiken jahrelang an. Die Liberalisierung des Transfermarkts hatte ihn in Bayern schließlich aufs Abstellgleis verschoben, an seiner letzten Karrierestation RB Salzburg allerdings bewies der zweifache Gewinn der österreichischen Torjägerkanone, dass er sein Hand- bzw. Fußwerk noch nicht verlernt hatte.
Rang 2: Claudio Pizarro – 21 Tore
Auch das ist natürlich eine Strategie, um in der Joker-Statistik einen Platz nach dem anderen zu erklimmen: Einfach nicht aufhören zu spielen! Vorausgesetzt logischerweise die nötige Qualität, um von den Trainern immer wieder berücksichtigt zu werden. Zwischen erstem und letztem Jokertor des unkaputtbaren Peruaners jedenfalls liegen satte 18 ½ Jahre, zwischen erstem und letztem Bundesligaeinsatz sogar noch rund 2 ½ mehr.
Im selben Zuge nahm der 85-fache Nationalspieler noch den einen oder anderen weiteren Rekord mit: Den als Legionär mit den meisten Erstligaspielen (511) etwa, oder den als treffsicherster Nicht-Deutscher in der Eliteliga überhaupt – ein Thron, von welchem Claudio Pizarro erst im März 2019 von einem gewissen Robert Lewandowski gestoßen wurde.
Mit Ausnahme zweier Spielzeiten gestaltete sich die Karriere des Stürmers als Pingpong zwischen den beiden Stationen Werder Bremen und Bayern München. Doch während es bei den einen zumeist eine Stammplatzgarantie gab, musste sich Pizarro im bayrischen Haifischbecken seinen Platz in der ersten Elf gegen Konkurrenten wie Elber, Makaay oder Mandzukic immer wieder neu erkämpfen. Sein Joker-Tore-Konto füllte der Peruaner daher in erster Linie in München und als Oldie in seinen letzten beiden Bremer Jahren. Und endgültig durch die Tür verschwunden ist der VW Käfer unter den Bundesliga-Kickern schließlich erst vor rund vier Monaten!
Rang 1: Nils Petersen – 25 Tore
Der SC Freiburg hängt die Bayern ab: Das liest sich doch nicht übel! Wobei Nils Petersen das allererste Jokertor seiner Karriere anno 2011 kurioserweise gegen seinen heutigen Arbeitgeber und in Diensten der Münchner schoss.
Vier Jahre später dann gelang dem gebürtigen Wernigeroder das, was dereinst auch Nobby Dickel schaffte: Ein lupenreiner Hattrick als Einwechselspieler. Zusätzliche Besonderheit beim heutigen Freiburger allerdings, dass dies seine allerersten Spielminuten im Trikot der Breisgauer waren: Welch ein Einstand!
Was sich anschloss, liest sich tatsächlich wie die Geschichte eines häufiger mal unterschätzten Talents: In seinen ersten anderthalb Jahren im Breisgau legte Petersen dem Gegner 19 mal den Ball ins Netz, satte 14 (!) Treffer hiervon gehörten in die Kategorie „Joker-Tor“. Erst in seinem dritten Freiburger Jahr mündete die gesteigerte Wertschätzung im Verein in Stammplatz und zwischenzeitlichem Kapitänsamt, so dass die weitere Edel-Joker-Laufbahn erst einmal auf Eis lag. Als sich aber, u. a. in Konkurrenz mit Jungstar Luca Waldschmidt, die Einsatzzeiten im Laufe der letzten Zeit wieder etwas reduzierten, machte der Goalgetter wie selbstverständlich dort weiter, wo er ein paar Jahre vorher aufgehört hatte, und erklomm so im Oktober 2019 mit seinem Treffer gegen RB Leipzig erstmals den alleinigen Joker-Thron.
Und auch wenn der für seine Bescheidenheit bekannten Kicker vom Breisgauer Jogi Löw mit nicht unbekannter Hartnäckigkeit nur zweimal für das Nationalteam nominiert wurde: Vorbei ist die Bundesliga-Geschichte des Nils Petersen noch nicht. Während also Gerd Müllers 365 Erstliga-Treffer seit Jahrzehnten als Rekord in die Geschichtsbücher der deutschen Eliteklasse eingemeißelt sind, kann man sich beim oft in seiner Karriere unterschätzten Herrn Petersen sicher sein: Da geht noch was!